Lenhardts Nachtwache vom 30.01.16
Teil der Exklusiv-Serie Lenhardts Nachtwache

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Heinrich Lenhardt 9648 EXP - Freier Redakteur,R8,S3,A1
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30. Januar 2016 - 3:05

Teaser

Woche der Wohltätigkeiten: Donald Rumsfeld rettet Winston Churchills Kartenspiel, während ein Spielebundle für ein göttliches Molyneux-Opfer sammeln will.
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Live aus Vancouver für GamersGlobal: Während Deutschland friedlich schläft, grummelt Heinrich Lenhardt an der fernen Westküste in seine Tastatur und kommentiert aktuelle Spielegeschehnisse. „Lenhardts Nachtwache“ erscheint (fast) jeden Samstagmorgen und ist die Gute-Nacht-Geschichte für Rotaugen beziehungsweise der Muntermacher für Frühaufsteher.

Abt. „Kriegsgeheimnisse“: 
Churchill in die Karten blicken
 
Der Jugendwahn der Spieleentwicklungsbranche ist hinreichend dokumentiert, der Achtundsechziger-Spruch „Trau keinem über dreißig“ wird anscheinend in so mancher IT-Personalabteilung beherzigt. Da ist es doch schön zu sehen, dass der Quereinstieg in die App-Entwicklung auch noch im Lebensherbst gelingen kann. Nehmen wir zum Beispiel den 83jährigen Donald Rumsfeld, der sich die Rente ja auch irgendwie aufbessern muss. Mit seinem Lebenslauf ist es sicher nicht leicht, in einem Supermarkt als Tütenpackhilfe beschäftigt zu werden. Der ehemalige amerikanische Verteidigungsminister war schließlich für Menschrechtsverletzungen in folterfreudigen Internierungslagern wie Guantánamo verantwortlich. Aber als Designberater für ein Kartenspiel ist er anscheinend qualifiziert, zumal es hier eine indirekte Verbindung zu einem anderen Staatsmann gibt.
 
Churchill Solitaire ist die bislang merkwürdigste Kollaboration des noch jungen Jahres, deren Entstehungsgeschichte dramatischer und abenteuerlicher klingt als so manche fiktive Spielstory. Die Legende der Pressemitteilung besagt, dass Donald Rumsfeld die Regeln der ganz speziellen Kartenvariante von einem gewissen André de Staercke zugeflüstert bekam. Der Belgier floh 1940 aus seiner von den Nazis besetzten Heimat nach London und wurde Sekretär von Winston Churchill. Der britische Premierminister brachte dem jungen Mann die Regeln seiner selbst ausgetüftelten Solitaire-Variante bei, mit der er sich in den seltenen Ruhepausen entspannte – schließlich war da noch ein Weltkrieg zu gewinnen. Doch wie kam Churchills Kartengeheimnis zu Rumsfeld? Letzterer war in den frühen 70er Jahren US-Vertreter bei der NATO in Brüssel, wo er Bekanntschaft mit André de Staercke machte. Einige weitere Jahrzehnte später wird das Geheimnis nun in Form von Churchill Solitaire mit der spielenden Öffentlichkeit geteilt.
 
Die Geschichte des 2. Weltkriegs wird man deswegen nicht umschreiben müssen, aber vielleicht die Geschichte der Kartenspiele? Naja, es gibt bei der Churchill-Variante ein Extradeck und kleine Regeleigenheiten, aber Solitaire ist im Prinzip halt ein alter Hut. Da hilft die bizarre Entstehungsgeschichte, um in der App-Flut überhaupt wahrgenommen zu werden. Dazu passt dann auch der Trailer, dessen Humoranflüge vielleicht beabsichtigt sind oder vielleicht auch nicht. Auf Fliegeralarmsirenen folgen Churchill-Schnipsel und viel Sprecher-Pathos: Das Spiel, mit dem Sir Winston Churchill „seine Nerven stählte“, drohte für immer verloren zu gehen, doch jetzt gibt es ja diese historisch wertvolle App. Story und Spielerrangliste folgen Winstons Lebenslauf mit Einstufungen von „Kadett“ über „General“ bis rauf zu „Premierminister“, dem höchsten aller Gefühle.
 
Falls Churchill Solitaire feat. Donald R. ein Erfolg wird, kann man sich ja ausmalen, was in der nachahmungsfreudigen Casual-Spieleszene passieren dürfte. Zum einen gibt es da noch ganz andere Kartenspiele, für die der rüstige Seniorendesigner werben könnte, von Rummis Rommeé (klingt einfach gut, vor allem, wenn man die Rs von Carolin Reiber rollen lässt) bis zu Donalds Schwarzem Peter (wer war gleich wieder verantwortlich bei den „Beweisen“ für Massenvernichtungswaffen im Irak?). Obendrein könnten auch andere findige Spieleanbieter Anekdoten dichten von Leuten, die jemanden kennen, dessen Cousin darauf schwört, dass historische Persönlichkeit X die Regeln für Spiel Y erfunden hat, ehrlich!
 
Fairerweise sei angemerkt, dass Donald Rumsfeld seinen Anteil von den Einnahmen nicht zur Aufbesserung seiner Rentenbezüge verwendet, sondern wohltätigen Organisationen im militärischen Bereich spenden will. Angesichts einiger Entscheidungen und Handlungen, für die er während seiner Amtszeit verantwortlich war, wäre Amnesty International vielleicht ein passenderer Empfänger gewesen.

Abt. „Vorruhestand“: 
Twitter-nö von Molyneux
 
Sehr böse Zungen könnten nun behaupten, dass es ja auch zu schön klang, um wahr zu sein. Aber die Tweets, in denen Peter Molyneux seinen Abschied in den Ruhestand und das Ende von Godus angekündigt hatte, entpuppten sich als boshafte Falschmeldungen: „Ah, mein Account wurde gehackt“ klärte der Altmeister des ambitionierten Spieldesigns das Internet auf, das schon eifrig mit der Verbreitung der vermeintlichen Neuigkeiten beschäftigt war. Dabei hätte man die drei gefälschten Tweets doch daran erkennen können, dass sie keine Rechtschreibfehler enthielten, scherzt der echte Molyneux: „You can tell cos they know how to spell“, was im Übrigen auch ein guter Slade-Songtitel wäre.
 
Die Grenzen zwischen Ernst und Satire sind fließender denn je, schnell und willig wurden die Falsch-Tweets von diversen Fachmedien als bare Münze akzeptiert. Es gibt ja auch einen „Molydeux“-Parodie-Account, dessen „Man stelle sich vor“-Spinnereien oft erstaunlich glaubwürdig klingen – und der inzwischen fast so viele Abonnenten hat wie das offizielle Konto des „richtigen“ Molyneux. Letzterer befindet sich in einem Zustand selbstauferlegter Funkstille, die er nur für den Hinweis auf die Falschmeldungen unterbrochen hat.
 
Derweil machte ein Molyneux-„Opfer“ kuriose Schlagzeilen. Dem Preisausschreiben-Gewinner Bryan Henderson wurde einst zugesichert, als „Gott der Götter“ das Spiel Godus beeinflussen und – noch besser! – einen Teil der Spieleinnahmen kassieren zu können. Doch das Versprechen wurde nie gehalten, was sicher sehr schmerzlich ist, aber muss man deshalb unbedingt Trostgeld für den jungen Mann sammeln? Um den nahenden Verkauf des „Forgotten God“-Spielebundles zu bewerben, verspricht Gamebundle.com, 10 Prozent der Einnahmen an Henderson zu stiften; „Ziel“ sei es, ihm 10.000 Dollar zukommen zu lassen.
 
Der Trostpflaster-Gedanke ist sicher nett, auch wenn sich einzig der Godus-Betreiber in der Verantwortung fühlen sollte. Henderson will mit dem Geld eine neue Grafikkarte kaufen und Kanada bereisen, was immer eine gute Idee ist, aber im Vergleich zu den von Humble Bundle begünstigten Organisationen wirkt er irgendwie weniger bedürftig: Rotes Kreuz, Ärzte ohne Grenzen oder Welthungerhilfe erreichen mit Spenden Menschen, denen Schlimmeres passiert, als auf einen Gewinnspielpreis warten zu müssen. Vielleicht kann Molyneux oder Molydeux dazu mal eine Meinung tweeten.

COFzDeep 23 Langzeituser - - 41400 - 30. Januar 2016 - 4:53 #

Hmm, welche Spielebundle-Seiten gibt es denn noch, bei denen ich mich als -selbstverständlich vollkommen uneigennütziger - Spendenempfänger anmelden kann? Bin für alle Vorschläge dankbar! Und meinetwegen bereise ich von dem Geld dann auch Kanada ;)

PS: Danke wieder einmal für diese Nachtwache, Heinrich :)

Claus 31 Gamer-Veteran - - 421603 - 30. Januar 2016 - 5:25 #

Wie immer sehr interessant und unterhaltsam.

Außerirdischer (unregistriert) 30. Januar 2016 - 8:01 #

Ja die war mal wieder richtig gut. Vielen Dank !

Trax 15 Kenner - 3458 - 30. Januar 2016 - 8:04 #

Danke für den schönen Start in den Samstag ^^

Aladan 25 Platin-Gamer - P - 57121 - 30. Januar 2016 - 8:16 #

Jetzt hab ich lust auf Rummis Rommeé. :-(

Schöne Nachtwache, danke Heinrich.

Hendrik 28 Party-Gamer - P - 105026 - 30. Januar 2016 - 8:24 #

Danke Heinrich, boshaft spitzfindig wie immer ! :)

zfpru 18 Doppel-Voter - 10896 - 30. Januar 2016 - 9:02 #

Hübsch geschrieben, aber wieder zu politisch. Ausserdem den Peter nicht immer unter Artenschutz stellen.

Pomme 17 Shapeshifter - P - 8622 - 30. Januar 2016 - 9:47 #

Ich finde das überhaupt nicht politisch. Historisch, meinetwegen, und wo genießt der Peter denn Artenschutz?

Markus 14 Komm-Experte - 1878 - 30. Januar 2016 - 10:22 #

Tolle Nachtwache. Und wieder was gelernt. Bisher hab ich gedacht, der Churchill hat zur Entspannung nur gesoffen. ;-)

Hermann Nasenweier 21 AAA-Gamer - P - 26387 - 30. Januar 2016 - 10:55 #

Vielleicht deswegen die Abweichungen von den Regeln ;)

Sierra 27 Spiele-Experte - 84767 - 30. Januar 2016 - 10:49 #

Rummis Rommé. XD

Desotho 18 Doppel-Voter - 9419 - 30. Januar 2016 - 10:51 #

Ich habe nie verstnden was an Solitaire so toll sein soll. zu Windows 3.1 Zeiten habe ich es noch dem Mangel an Alternativen zugeschrieben (wobei es ja Minesweeper gab).
Aber auch heute sehe ich immer noch Leute in der bahn die das nun auf dem Smartphone zocken. Insofern werden sich da sicher einige Leute über sowas freuen.

Lorin 17 Shapeshifter - P - 7495 - 30. Januar 2016 - 11:04 #

Das ist der größte Knaller, dass Molyneux NICHT eingehalten hat was er dem Gewinner von, wie hieß die App noch... ??, versprochen hat.

Bruno Lawrie 22 Motivator - - 33448 - 30. Januar 2016 - 13:43 #

Wenn man es wörtlich nimmt, hat er es schon einhalten, da der Part, an dem der Curiosity-Gewinner beteiligt werden soll, noch gar nicht existiert. :-) Vor einem Jahr hat Molyneux dafür auch schon viel auf den Deckel bekommen, das Thema ist nicht neu.

Lorin 17 Shapeshifter - P - 7495 - 30. Januar 2016 - 14:26 #

Ich würde das "noch nicht existiert" eher in "niemals existieren wird" ändern ;)
Aber natürlich, das Thema ist bekannt, ärgerlich, unmoralisch, unverschämt ... wie man es auch immer definieren mag, ist es immer noch.

Slaytanic 25 Platin-Gamer - - 62062 - 30. Januar 2016 - 11:52 #

Schöne Nachtwache.

Ganon 27 Spiele-Experte - - 83896 - 30. Januar 2016 - 12:01 #

Preisausschreiben? Das war doch der, der ins Zentrum des Cube von Curiosity vorgedrungen ist, oder?
Na ja, ansonsten wieder super. Dieser Solitaire-Trailer, so herrlich amerikanisch. ;-)

SaRaHk 16 Übertalent - 5249 - 30. Januar 2016 - 13:11 #

Coming soon: Merkel Monopoly

lolaldanee 14 Komm-Experte - 1949 - 30. Januar 2016 - 14:01 #

Er hat Slade erwähnt!
unterschätzteste Band überhaupt!

Molyneux sollte als Ideengeber bei ca. 30 Firmen angestellt werden - nur bitte mit der Entwicklung selbst sollte er nur wenig zu tun haben!

Janosch 27 Spiele-Experte - - 86762 - 30. Januar 2016 - 14:31 #

Wie macht der Herr das nur, im Wochentakt erquickliches zur Zeitgeschichte und jetzt sogar mit Reminiszenz an die alte britische Bulldogge zu schreiben? Fantastisch! Vielen Dank für die anregenden Minuten.

EvilNobody 15 Kenner - 3141 - 30. Januar 2016 - 14:35 #

Wer glaubt denn schon noch dem Molyneux? Erinnert ihr euch noch an seine One-Button-Präsentation? xD

Hanseat 14 Komm-Experte - 1884 - 30. Januar 2016 - 18:57 #

Schöne Nachtwache, der politische Einschlag gefällt mir zunehmend. Collin Powell war der mit dem Beweis der Massenvernichtungswaffen, dachte ich.

Whisky (unregistriert) 31. Januar 2016 - 11:32 #

Eine phantastische Nachtwache. Vielen Dank dafür.