Live aus Vancouver für GamersGlobal: Während Deutschland friedlich schläft, grummelt Heinrich Lenhardt an der fernen Westküste in seine Tastatur und kommentiert aktuelle Spielegeschehnisse. „Lenhardts Nachtwache“ erscheint (fast) jeden Samstagmorgen und ist die heitere Gute-Nacht-Geschichte für Rotaugen beziehungsweise der Muntermacher für Frühaufsteher.
Abt. „Fußball“:
FIFA-Frauen & Skandal-Sepp
Das Timing war schon etwas kurios, aber so ist das im Leben: Manchmal trifft man halt erst am vorletzten Spieltag auf die Bayern, wenn diese sich in einem relativ bewältigbaren Zustand befinden: verletzungsgeschwächt und gesättigt, weil die Meisterschaft bereits gesichert ist und man andere Dinge im Kopf hat als die Punkteverschenkungs-Gerechtigkeit im Abstiegskampf.
Und wie es der Zufall so wollte, verkündete EA Sports sein großes Überraschungs-Feature fürs Fußballspiel FIFA 16 ausgerechnet in jener Woche, in der besagte Fifa weltweit Schlagzeilen machte. Nicht etwa nette Headlines, zum Beispiel wegen der anstehenden Fußball-WM der Damen, die EA zum Anlass nimmt, erstmals in seiner Fußballspiel-Geschichte auch Frauenteams zu berücksichtigen. Nein, es sind Überschriften weniger erbaulicher Natur, nachdem hohe Funktionäre des Weltfußballverbands wegen dringenden Korruptionsverdachts verhaftet wurden. Fifa-Präsident und Weltklasse-Sesselkleber Joseph Blatter will von nichts gewusst haben und ließ sich am Freitag im Amt bestätigen.
Der offensichtliche Unwille zum Ausmisten des Fifa-Saustalls irritiert manchen Sponsoren. Firmen wie Visa machen sich berechtigterweise Sorgen, dass sie viele Millionen dafür ausgeben, dass ihr Image durch diese Partnerschaft ramponiert wird. Zahlreiche Medien verglichen die Fifa in den letzten Tagen mit einer kriminellen Organisation. Ich warte nur noch darauf, dass sich ein Mafia-Sprecher über Rufschädigung beschwert, weil sein Arbeitgeber in einem Atemzug mit den Weltfußball-Halunken genannt wird.
Ein Sponsoren-Ausstieg wäre für Firmen wie Visa erheblich leichter zu bewerkstelligen als ein FIFA-Verzicht für EA Sports. Es geht ja nicht nur um den etablierten Markennamen einer höchst erfolgreichen Spielserie, sondern um die realistische Anmutung des Programms. Mit Features wie echten Spielernamen oder Nationalteamtrikots konnte man sich auch in jenen Jahren gegen die PES-Konkurrenz behaupten, in denen Konamis Kickeralternative als spielerisch überlegen galt.
Um die FIFA-Anbindung kommt EA nicht herum, und es gab ohnehin keine Pläne, Buhmann Blatter als Aushängeschild auf die nächste Packung zu drucken. Es sei denn, man würde aus der Not eine Tugend machen wollen. Manager-Elemente werden im Sportgenre ja immer gerne genommen, wie wäre es also mit einem Funktionärs-Karrieremodus?
Das anfangs bescheidene Schmiergeldbudget wird geschickt investiert, um über die Spieljahre Einfluss und Einnahmen zu mehren. Langfristiges Ziel wäre es, genug Stimmen der Kontinentalverbände zu erkaufen, um zum FIFA-Präsidenten gewählt zu werden. Ein besonderes Achievement gibt es, wenn es einem gelingt, eine WM in einem Land ausrichten zu lassen, dass sich noch nie für eine Weltmeistschaft qualifiziert hat, auf Rang 99 der Weltrangliste gurkt, in dessen Sommerhitze man nicht Fußball spielen kann und das zugleich einen ziemlichen miesen Ruf hat, was Menschenrechte und Sicherheit am Stadionbau-Arbeitsplatz angeht. Ich weiß, das klingt völlig absurd und unrealistisch, aber in einem Videospiel darf man schon mal solche Irrsinns-Szenarien ausspinnen.
Doch noch hat EA Sports keinen Blatter-Manager-Modus angekündigt, also zurück zu den Damenmannschaften (mit denen sich Sepp ohnehin nicht so gut auskennt). Deren Berücksichtigung ist nur zu begrüßen, schließlich hat sie neben dem Gleichberechtigung-Wohlgefühl auch handfeste wirtschaftliche Gründe.
Klar, der deutsche FIFA-Fan nölt gerne in User-Kommentaren herum, dass er sich lieber Regionalliga-Berücksichtigung wünschen würde und zitiert in seinem chauvinistischen Übermut vielleicht noch Frauenfußball-Experten wie Mario Basler. Doch EA wittert Wachstumschancen im nordamerikanischen Heimatmarkt. In den sonst eher Soccer-müden USA ist Fußball nicht nur ein beliebter Breitensport unter Mädchen, Turniere der Damen-Nationalmannschaft sorgen für ordentliche TV-Quoten.
Das dürfte auch für die US-Zeitzonen-freundliche WM gelten, die am 6. Juni in Kanada beginnt. Dann kauft man sich später vielleicht auch mal FIFA 16, um mit den zu Stars avancierten Mädels im Familienkreis zu daddeln. Das ist halt eine andere Zielgruppe als die getreuen Stammkunden in der Stehkurve, also auf jeden Fall einen Versuch wert. Auch wenn man damit vielleicht die Gefühle der Fans von Drittliga-Titanen wie Sonnenhof Großaspach verletzt, die zugunsten der Damenwahl vernachlässigt werden.
Abt. „Motorsport“:
Zurück in die Online-Werkstatt
Apropos „Aus Fehlern nix gelernt“: Die Blatter-EA-Connection scheint doch irgendwie abzufärben, denn die Onlinezwang-Politik von Electronic Arts wirkt manchmal so, als hätte sie ein altersstarrsinniger Fifa-Präsident konzipiert, der PR-Katastrophen der Vergangenheit ein wenig zu schnell vergisst.
Da war doch dieses Theater um die 2013-Veröffentlichung von SimCity, bei dem eine Online-Verbindung zwingend zum Spielen nötig war, aber dessen Server zum Launch nicht so recht funktionierten. Monatelang lieferte sich EA rhetorische Rückzugsgefechte, beteuerte die unwiderrufliche Endgültigkeit der Online-Notwendigkeit… und patchte im März 2014 einen Offline-Modus dazu – ging ja doch.
Es reicht anscheinend nicht, der Reputation einer einzigen traditionsreichen Spielemarke mit obligatorischer Online-Anbindung zu schaden. Als Nächstes will man die Fanbasis-Geduld bei der Rennserie The Need for Speed testen: In einer Meldung des offiziellen Twitter-Kanals heißt es: „NFS wird eine Online-Verbindung benötigen, aber die Vorteile sind nett. Mehr Abwechslung und ein lohnenswerteres Erlebnis mit Freunden“.
Immerhin zeugt das Wörtchen „aber“ davon, dass man sich der Tatsache bewusst ist, dass die Online-Kröte der Community schmackhaft gemacht werden muss. Nur sollte man bei der Begründung etwas ehrlicher sein als vage Phrasen zu dreschen. Wie wäre es zum Beispiel mit „… weil wir so mehr Daten sammeln und die Spieler besser als Social-Media-Promoter missbrauchen können?“. Und will man die Kunden zum Kauf des Nachfolgers nötigen, klemmt man einfach den alten Server ab und macht das Online-abhängige Programm somit unspielbar. Alles schon mal dagewesen.
Warum ersparen wir uns nicht das Sommertheater mit der „benötigten Online-Verbindung“? Am Ende wird à la SimCity doch wieder ein Offline-Modus dazu gepatcht, freilich erst zu einem Zeitpunkt, wenn der Ruf des Spiels dank der quälenden Diskussion bereits gelitten hat. Pssst, Vorbild-Tipp: Man schaue sich an, wie zum Beispiel Bloodborne das Thema angeht: Da wähle ich bei jedem Programmstart, ob ich diesmal online oder offline spielen will – so einfach geht das. Und muss bei mir letzterem Modus keine Sorgen bezüglich störender Mitspieler oder überlasteter Server machen.
Sehr schön :).
Dieses FIFA Theater ist schon peinlich ^^. Aber wenn der Gegenkandidat halt auch soviel Dreck am Stecken hat wie der alte und neue Präsident. Dann bleibt man halt doch lieber beim alten Dreck.
Hätte bei Need for Speed vielleicht auch noch die falsche Boxenstrategie bei Mercedes in Monaco mit reinbringen können ^^.
In Führung liegend und dann halt doch so ein unsinniger Boxenstopp :P.
Lenhardt at its best!
Musste mehrmals herzhaft lachen beim Text der Fußball-Abteilung, klasse ! Starke Ausgabe mal wieder. :)
Vielen Dank für diese morgendliche Erheiterung!
Ein frei wählbarer Modus bei Diablo 3 auf dem PC wäre nicht schlecht. Man wählt einfach jederzeit ob man online sein will oder nicht. Aber bisher muss man Online sein daher spiele ich lieber die PS3 Version.
Allgemein finde ich einen Onlinezwang nicht gut wo man komplett online sein muss. Kurz anmelden und dann offline weiter zocken ist ok, idealerweise nur einmalig und dann offline. Ausgenommen sind online rpg aber das ist klar. Bin zur Zeit was Games angeht lieber offline.
Moin!
Hmm, das FIFA Sommertheater hat nun auch hier ihren Platz gefunden.
Die zweite Hälfte ist wirklich gut gelungen, genau so wirds wieder laufen ;)
Ok ok, ich gehöre nicht mehr zur Zielgruppe und habe Need for Speed vielleicht vor 4-5 Jahren das letzte Mal angespielt.
Allen ein schönes WE :-)
MfG
Eine Nachtwache so großartig wie ein Dribbling von Messi! Heini und Fußball, das passt einfach wie die Faust aufs Auge.
Das war durchaus erheiternd, Herr Lenhardt! :)
Danke! Der Absatz mit dem Katar Seitenhieb alleine ist das Lesen dieser Nachtwache wert! Was hab ich gelacht!
Sehr gute Nachtwache mal wieder.
Mit einem Thema das mir am frühen Morgen die Zornesröte ins Gesicht treibt. Mir bleibt als Fussballfan das Lachen im Halse stecken. Ich kann zwar EA aus dem Wege gehen. Was ich mittlerweile ja auch mache. Und auf Virtuellen Fussball verzichten. Der Fifa-Krake entkommt man nicht. Und es scheint man kann auch nichts gegen sie tun. Blatter hat über die Jahre ein System errichtet, das keiner so schnell überwindet.
Und Altenativen wie der Jordanischen Prinz sind keine. Aber vielleicht unternehmen die Staatengemeinschaften ja jetzt endlich was. Aber ich bezweifele es sehr. Ein gut geschmierter Motor läuft und läuft.
Und beim Thema Katar werde ich einfach nur noch Wütend. Da kann ich garnicht drüber lachen. Das Elend anderer ausnutzen. Widerlich. Das zeigt mir am deutlichsten welch Geistes Kind die Fifa ist. Und wenn mal wieder was bekannt wird darüber, kommt nur ein kurzer empörter Aufschrei der Politik. Der verstummt aber nach Sekunden wieder. Also weiter wie gehabt. Zum Kotzen. Und ein Boykott der WM leider undenkbar.
Tatsächlich gibt es gegen die WM in Qatar nur die Hoffnung das genug Gegenwind aus der Gesellschaft die Sponsoren abspringen lässt. (Also statt WM Boycott Markenboykott). Anderes als den Geldhebel der Sponsoren wird es für die Menschenrechtenicht geben. Die Verbände und die Politik verlieren nur wenn sie moralischen Bedenken folgen würden. Traurig aber Realität.
Ich amüsiere mich köstlich über das Fifa-Theater, wird hier doch öffentlich vorgeführt wie es überall läuft. VDS, Maut, NSA – egal, die Parteien werden wiedergewählt. Geschrei bei Onlinezwang – egal, die Spiele werden gekauft. Skandal um Fifa und Katar – egal, bei der WM werden alle jubeln.
in einer welt, in der konsum mit glücklichsein gleichgesetzt wird, legen wir uns selbst die ketten an.
in fesseln eingekerkert und am socialmediepranger stehend, behaupten wir dann immer noch, unser manipulierter geist sei frei.
Konsum ist nicht nur Glück, sondern Leben und Erlösung.
Wer anderes anderes behauptet spielt mit Mächten die seine Vorstellungskraft weit übersteigen oder hat nur begrenzten Einblick in den Lauf der Dinge:
https://www.youtube.com/watch?v=zI5hrcwU7Dk
Situationen, in denen ich froh bin, mit Fußball so gar nichts anfangen zu können. Kaum auszumalen, wenn ich mich da reinsteigern könnte. Nichts desto trotz sehr gelungene Nachtwache.
Heinrich am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen.
Neben der Stunde der Kritiker mit Abstand das beste auf GG!!!!!
Danke Herr Lenhardt!
Sind auch meine Lieblinge hier. ;)
Weltfußball-Halunken, Sepp Blatter-Modus in EAs FIFA Serie (aber sicher nur als DLC, oder?), Mafia und diese Katar „Vision”: das ist Journalisten-Tiki-Taka vom Feinsten, bravo, Heinrich!
Und wer weiß, vielleicht wir auch endlich jener FIFA Geselle erwischt, der 1986 die Freigabe zu US Golds World Cup Carnival erteilte: ich will mein Taschengeld zurück....
Sehr gut auf den Punkt. Danke dafür.
So Typen wie Sepp Platter gibts überall.
Ich hab bis Anfang letzten Jahres nicht verstanden, wieso es heutzutage Leute gibt, die sich über eine ständige Onlineverbindung in Spielen aufregen. Bis ich dann mit Mass Effect Teil 1 loslegen wollte.
Origin. Ich habe regelrechte Hassgefühle entwickelt als ich das Spiel nicht starten konnte.
Letztendlich habe ich dann mit dem EA-Support telefoniert. Der Typ war genervt aber hat trozdem versucht freundlich zu sein. Und er hat es geschafft meinen Origin-Account wieder herzustellen.
Trozdem hab ich ihm gesagt dass ich jetzt verstehe warum die Leute Origin so S****** finden. Freundlich war ich auch, aber es war eine wirklich krasse Erfahrung für mich zu sehen wie ich aus dem Spiel ausgesperrt war. Was hab ich geschimpft.
Und für mich war die Nachtwache auch erheiternd:) Super.
Und wo lag der Fehler?
Im Detail weiß ich es nicht mehr. Ich weiß nur dass ich meinen korrekten Benutzernamen und das korrekte Passwort hatte.
Man sollte mittels Emailadresse, die mit dem Account verknüpft ist alles wiederherstellen bzw. nutzen können.
Aber nix ging. Letztendlich dann der Anruf bei der Hotline von EA.
Vielleicht mal mit den positiven Seiten trösten: Ab und zu gibt es ja Klassiker umsonst bei Origin.
Ok, wusst ich auch noch nicht dass die so eine Vielfalt haben.
Wing Commander 2 z.b., aber soviel Zeit hab ich dann leider doch nicht.
Ich sollt nämlich echt mal langsam mit Alien Isolation anfangen. Oder Pillars of Eternity, vielleicht fürs nächste Wochenende.
Fang ruhig mit Alien Isolation an. Das ist gut.
Es wurde Pillars:)
Ich bleibe trotzdem gerne ein Chauvinist, der gerne seine lokale Mannschaft aus unteren Ligen hochspielen würde.
Lenhardt for POTUS!
Geboren in Deutschland, wohnhaft in Kanada - das wird schwierig. ;-)
Aber die Nachtwache war sehr schön.
Solche Kleinigkeiten halten doch einen Lenhardt nicht auf!
Nix da! Dann fehlt die Zeit für SdKs ;).
Oh, die Liste mit den abgeschalteten EA Spielen ist ja mal ganz interessant, da sind ja einige Titel dabei, denen ich noch zugetraut hätte, dass sie noch gespielt werden würden bzw. noch gar nicht so alt sind.
Die Sorge von Herr Lenhardt um den Ruf von Visa ist rührend. Er scheint wohl nicht zu wissen, wie Visa Sponsor geworden ist. Da wurden Abermillionen Strafen gezahlt, weil Visa illegal zum Sponsor gemacht wurde. Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/FIFA#Allgemeines
Und das man Sepp Blatter, den Träger des großen Bundesverdienstkreuzes und Ehrenmitglied des DFB, erst hochjubelt, weil er die WM nach Deutschland gibt und dann nieder macht, weil er mit den gleichen Methoden die WM nicht nach Deutschland gibt, dass zeugt nicht vom großen Sportsgeist.
(Anekdote am Rande: Die USA, die jetzt die Ermittlungen geführt haben, haben bei der Vergabe gegen Katar verloren. Ein Schelm, wer böses dabei denkt.)
Hauptermittlung sind die Vergabe an Südafrika und die Vergabe des Copa-America (An die USA). Auch wenn man jetzt natürlich leicht dem anderen netten Demokraten glauben könnte es wäre eine große Verschwörung im Gange kann man ja auch ohne ein Schelm zu sein bei den Fakten bleiben. ;)
Super geschrieben, kurzweilig zu lesen. Danke.
1:0 Lenhardt
Bestens Herr Lenhardt! Vielen Dank dafür!
Top Folge von Lenhardts Nachtwache!