Jörg Langer beklagt die

Regression der Strategiespiele Meinung

Statt einem einsamen Pixelkünstler arbeiten heute sehr viele Grafiker an einem Strategiespiel. Nirgendwo aber arbeiten fünf oder zehn Programmierer an den KI-Routinen. Bekanntlich haben Strategiespiele längst ihre Vormachtsstellung unter den Genres verloren, doch auf die einfache Idee, sie schlauer zu machen, kommt bis heute niemand.
Jörg Langer 26. September 2010 - 22:29 — vor 12 Jahren aktualisiert
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Napoleon Total War, Strategic Command Global Conflict, Disciples 3, Starcraft 2, Civilization 5: Von den letzten fünf Strategiespielen, die ich ausführlich getestet habe, haben genau zwei eine halbwegs gute KI: Global Conflict (wenngleich extrem skriptbasiert, also "an der Hand über die Straße geführt") und Starcraft 2 (aber nur im Skirmish-Modus).
 
Napoleon? Passable Schlacht-KI, wenn man die generelle Berechenbarkeit und einige Aussetzer gnädig übersieht, aber strategisch nur Mittelklasse. Disciples 3? Die Künstliche Irrationalität zieht ihre Gegnerblocks ohne Sinn hin und wieder her, reibt sich eins ums andere Mal an derselben Stadt auf, und sieht selbst auf den Winz-Schlachtfeldern der taktischen Kämpfe nicht gut aus. Und dann das neueste Beispiel Civilization 5, bei dem der Computergegner einem in der Mehrzahl der Partien erst im Mittelalter den Krieg erklärt, und manchmal auch erst in der Moderne. Wenn er es aber tut oder ich selbst angreife, wird es selten gefährlich: Seine Truppen setzt er nach dem Zufallsprinzip ein und führt so das schöne, neue Hexfeld-System in die Bedeutungslosigkeit.
 
Früher war alles besser
 
Ich spiele Strategiespiele am Computer seit SSIs Tigers in the Snow, SSGs War in Russia, seit Empire (bei dem Sid Meier kräftig für Civilization abgekupfert hat), seit Combat Leader (1986 das wahre erste Echtzeitstrategiespiel), seit Command HQ, Sword of Aragorn, Populous, Battle Isle, seit King's Bounty auf dem Megadrive -- und wie die alten Perlen alle heißen. Und ja, auch seit Sid Meier's Railroad Tycoon und dem Klassiker schlechthin, Civilization. Ist es nur die Last von mehreren Hundert gespielten (und seit 1994 oft auch von Berufs wegen getesteten) Strategiespielen, oder ist es altersbedingte nostalgische Verklärung, wenn ich glaube, dass Strategiespiele früher anspruchsvoller waren?
 
Aber die KI erinnerte sich noch lange nach einem Verrat daran
Ja, Master of Orion betrog hinter den Kulissen -- aber die KI erinnerte sich noch lange nach einem Verrat daran und rieb mir das in Verhandlungen unter die Nase. Ja, der Reiz von Panzer General (in der 95er Windows-Version nicht indiziert) beruhte vor allem auf dem Abarbeiten komplexer Verteidigungsstellungen; musste der Computer angreifen, stellte er sich nicht sonderlich schlau an. Aber was gab es da zu tüfteln, und wie unbarmherzig knockte die KI meine angeschlagenen Einheiten aus! Nehmen wir ruhig das erste Civilization: Die Zufälligkeit der Kämpfe war legendär: Griff ein Neuzeit-Schlachtschiff (Angriffswert 18, wenn ich mich recht entsinne) eine antike Phalanx (Verteidigung 2) an, die sich in einem Bergfeld "eingegraben" hatte, konnte es vorkommen, dass es unterlag. Aber gleichzeitig war das Spiel knüppelhart; ließ man seine Hauptstadt zu Beginn leer, reichte eine einzige Barbareneinheit, und das Spiel war vorbei.
 
Echte KI? Gibt es nicht
 
Nun könnte man sagen: Wirkliche Künstliche Intelligenz gibt es nicht, selbst in der Forschung noch nicht. Aber davon rede ich ja gar nicht. Ich will gar keine KI, die mich schlägt, weil sie schlauer ist. Das ist der Punkt, in dem Sid Meier recht hatte in seinem diesjährigen GDC-Vortrag (siehe unseren Report): Die KI muss dem Spieler letztendlich ein gutes Gefühl geben. Aber Sid und sein Team haben bei Civilization 5 die falschen Schlüsse daraus gezogen -- sofern sie überhaupt anders konnten: Das gute Gefühl kommt beim Einsteiger sicherlich daher, dass er das Spiel zu beherrschen lernt, ohne ständig auf den Kopp zu bekommen. Aber beim Fortgeschrittenen oder Profi? Der will wirklich gefordert werden! Der möchte die Illusion haben, dass er da mit Können einen Kontrahenten besiegt, ein Weltreich einschüchtert, schlauer siedelt.
 
Nun kann eine Spiele-KI auf mehrere Arten den Spieler fordern. Zum Beispiel durch schiere Produktionsübermacht -- das ist das Prinzip von Civ 5, aus dem es auch gar keinen Hehl macht: Umso höher der Schwierigkeitsgrad, desto mehr Boni erhält der Computer. Diese Technik hat eine lange Tradition, doch sie will mit Bedacht eingesetzt sein. So erlaubte Master of Orion 2, anders als Teil 1, den Computervölkern keine exorbitanten Boni mehr, sondern ging subtiler vor: Sie erhielten mehr Bonusattribute, als für den Spieler erlaubt waren. Sie durften pro Runde ein oder zwei Raumschiffe kostenlos upgraden. Dazu eine fantastische Diplomatie, und fertig war die überzeugende, fordernde aber doch meist faire KI.
 
Eine KI kann auch einen Wissensvorsprung haben -- so gehen die meisten Echtzeitstrategiespiele bis heute vor: Während ein menschlicher Spieler immer nur das sehen und beeinflussen kann, was gerade auf dem Bildschirm abgebildet ist (eSportler versuchen, diese Limitierung durch auswendig gelernte Abläufe und Tastaturkommandos ein Stück weit zu sprengen), kann die KI überall zugleich sein und, um ein ganz simples Beispiel zu nennen, in der gleichen Sekunde an zwei unterschiedlichen Stellen der Karte agieren. Dazu noch einige Nachschub- oder Angriffs-Skripts (sie müssen ja nicht so repetitiv wie bei der Command&Conquer-Serie sein), und der typische Spieler wird eine Weile gefordert.
 
Strategic Centauri
 
Beispiel Strategic Command Global Conflict: Dank Hunderten von Skripts und einer leidlich guten taktischen KI bereitet der Computergegner einem Menschen durchaus Probleme. Er reagiert auf Bedrohungen, führt situativ sinnvolle Aktionen durch -- ob dahinter ein HAL 9000 steckt oder nur simple "Wenn A, dann B"-Befehle, ist mir letzten Endes egal. So gut wie ein erfahrener Spieler ist die SCGC-KI natürlich nicht, insbesondere verfolgt sie angeschlagene Einheiten nicht, um sie zu vernichten. Doch wenn ich will, kann ich ja immer noch per Menü Produktions- oder Kampfboni verteilen.

Alpha Centauri ist im nachhinein betrachtet vielleicht die Krone der Strategie-Schöpfung
Beispiel Alpha Centauri: Erdacht und designt wurde es (trotz des unweigerlichen "Sid Meier"-Genitivs im Namen) von Meiers Sidekick Brian Reynolds, der leider, leider seit 2000 nicht mehr bei Firaxis ist. Was Reynolds und Team 1999 bei Alpha Centauri hinlegten, ist im Nachhinein betrachtet vielleicht die Krone der Strategie-Schöpfung gewesen. Nach der Bruchlandung eines Kolonieschiffs auf einer Welt im Alpha-Centauri-System (wohin am Ende eines jeden Civilization-Teils das Raumschiff aufbricht, wenn man auf Wissenschaftssieg spielt) beginnen die Überlebenden, eine neue, ideale Zivilisation aufzubauen. Was aber "ideal" ist, davon hat jede Splittergruppe ihre ganz eigenen Vorstellungen. Im Gegensatz zu Civilization 5 ist jede Fraktion ein Unikat, das anders "redet" (obwohl in Wahrheit nur ein paar Textstrings ausgetauscht werden), das andere Strategien verfolgt, das sich merklich anders verhält. Dazu kommt ein intelligentes "Erschaffe deine eigenen Truppentypen"-System, tolle Ideen wie der Planetare Rat, nicht zuletzt ein grandioses Addon. Hätte Alpha Centauri zusätzlich auch noch wenigstens durchschnittlich ausgesehen (statt katastrophal schlecht), wer weiß, ob es nicht zu einem Megaseller hätte werden und die Entwicklung des Genres in eine etwas andere Entwicklung hätte lenken können.

Die schiefe Bahn
 
So aber geriet die Strategie-Evolution auf eine leicht schiefe Bahn. Weg vom Pixellook, hin zur 3D-Grafik, hin zu immer besserer 3D-Grafik. Denn wenn man schon mal 3D hatte, warum schlechter aussehen als typische Actionspiele? Und so floss immer mehr Aufwand in die Präsentation, aber zumindest nicht mehr, und vielleicht sogar weniger, in die Programmierung einer guten KI. Mit "guter KI" meine ich schlicht eine, die zumindest so wirkt, als würde sie sinnvolle Entscheidungen treffen, und einen guten Gegner abgeben. Dazu muss die KI nicht schlauer als Einstein sein. Sie darf nur keine dummen Dinge tun, sondern sollte -- gerne mit dem Schwierigkeitsgrad zunehmend -- häufig schlaue Dinge tun.
 
Die Total-War-Serie sieht alle zwei Folgen grandios viel besser aus als vorher, der Schritt von Shogun/Medieval zu Rome/Medieval 2 war schlichtweg unglaublich, und zu Empire/Napoleon nochmal dramatisch. Shogun 2, das 2011 erscheinen soll, könnte bei Erscheinen eines der schönsten Spiele überhaupt sein. Aber ist es das, was die Fans wollen? In Shogun löschten sich ganze Feindfraktionen gerne dadurch aus, dass sie ihren Fraktionsführer in sinnlose Scharmützel schickten -- starb er dann in vorderster Front, war auch der ganze Clan besiegt. Dieses Suizid-Verhalten feindlicher Generäle wurde graduell zwar besser, doch noch bei Medieval 2 habe ich den Papst (als Heerführer) gleich in der ersten Schlacht getötet und damit seine Fraktion besiegt. Und selbst bei Napoleon ist die Unsitte noch nicht völlig gebannt -- in etwa jeder vierten Schlacht stirbt der Feindgeneral in meinem anfänglichen Artilleriebombardment. Und ich kann den Feldherrn Napoleon in den Anfangsrunden problemlos besiegen (allerdings nicht dauerhaft töten, kluger Kniff, Creative Assembly!), weil er nur mit einer kleinen Armee herummarschiert, wenn ihn die KI zieht. Dafür wurde der Serie ein schlauer Zug von Shogun 1 längst ausgetrieben: Dort floh die feindliche Armee schon zu Beginn aus der Schlacht, wenn sie sich stark unterlegen wähnte. Das aber hat angeblich die Spieler frustriert.
 
Ich frage mich: Welche Spieler? Die tatsächlichen oder die, die sich die Entwickler und Hersteller erträumen? Geträumt wird immer vom Massenmarkt, weil er höhere Verkäufe und damit Gewinne verspricht. Doch tatsächlich gekauft werden Shogun 2, Civilization 5 und andere doch vor allem von Fans -- gerade in diesen actionspiel-lastigen Zeiten. Und Fans, nennen wir sie Genießer, freuen sich zwar, wenn ihr Spiel gut aussieht. Aber noch mehr freuen sie sich, wenn es anspruchsvoll ist. Wenn kein offenkundiger Mist geschieht. Wenn nicht ein unterlegenes Reich lieber in den Tod geht, als einen Friedensvertrag anzunehmen. Wenn das Britische Empire es tatsächlich schafft, eine Armee von England nach Indien zu entsenden. Wenn mich zwei Gegner in Civilization 5 angreifen und mich tatsächlich wegpusten, weil ich meine Armee vernachlässigt habe. Was aber leider nicht geschieht: Aktuell verwechseln sie ihre Artillerie mit Panzern und verteilen auch sonst ihre Einheiten eher nach Proporzgesichtspunkten über die Hexfelder, als nach einem taktischen Plan.

Der Unterschied zwischen gut und kolossal

Während sich Strategiespiele in den letzten zehn, zwölf, 15 Jahren grafisch gewaltig verbessert haben, und immer mehr Entwicklungsressourcen in ihre Präsentation gegossen wurden, sind ihre Verkaufszahlen (vergesst mal kurz SC2) gesunken. Liegt das vielleicht auch daran, dass ihre KI immer noch so gut oder schlecht ist wie damals? Der Aufstieg des Internets hat dabei nicht geholfen, denn wieso eine KI programmieren, die bis drei zählen kann, wenn die Spieler doch "sowieso am liebsten gegeneinander antreten?"
 
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber weder bei Total War noch bei Strategic Command noch bei Civilization bin ich sonderlich erpicht darauf, online zu spielen. Diese Spiele dauern einfach zu lang, und ich will sie im stillen Kämmerlein genießen, auch mal Speichern/Laden dürfen, mal ne halbe Stunde spielen und mal einen halben Tag am Stück. Wenn das Genre der Strategiespiele für mich auch in zehn Jahren noch spannend sein soll, dann muss sich dringend etwas tun. Die Strategietitel müssen endlich schlauer werden. Actionspiel-KIs haben doch auch gelernt, mich zu flankieren oder in Deckung zu gehen!
 
Eine gescheite KI ist nicht unmöglich
Eine gescheite Strategie-KI ist nicht unmöglich. Man muss nur genug Zeit in sie hineinstecken, sie richtig dosiert cheaten lassen, ihr einen kleinen Wissensvorsprung geben, sie mit vielen, ungeheuer vielen Skripten so wirken lassen, als besäße sie kognitive Fähigkeiten. Ihr dann einen Ressourcenbonus geben, wenn es sein muss. Eine solche KI kann den Unterschied ausmachen zwischen einem guten und einem kolossalen Spiel. Zwischen Spielerlebnissen, über die man sich irgendwann nur noch ärgert und solchen, die man (im Positiven) nie vergisst. Immer wieder beschämen engagierte Fans nachträglich die Entwickler, indem sie aus einem latent verkorksten Strategietitel (ich denke da etwa an die Neuauflage von Colonization) noch einen sehr spielenswerten zimmern. Doch sie können immer nur an Symptonen herumdoktern, nicht am Kern der KI-Routinen.

Werte Hersteller, bitte stoppt die Regression meines Lieblingsgenres, bevor es zu spät ist.
 
Euer Jörg Langer

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