Nachruf von Heinrich Lenhardt:

Gitarrenhelden-Begräbnis Meinung

Seit grauer Computerspiele-Vorzeit berichtet Heinrich Lenhardt über unser liebstes Hobby. Happy-Computer, Power Play, PC Player, PC Xtreme und buffed waren nur einige seiner bisherigen Wirkungsstätten. Heutzutage residiert er an der kanadischen Westküste und bedenkt GamersGlobal mit Meinungsausbrüchen per Flaschenpost-Zustellung.
Heinrich Lenhardt 14. Februar 2011 - 23:36 — vor 13 Jahren aktualisiert
Anfuehrung
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»I had a dream that we were rock stars
And that flash bulbs popped the air
And girls fainted every time we shook our hair.«
(Prefab Sprout: Electric Guitars)
 
Liebe Gemeinde,
 
wir sind heute zusammengekommen, um dem überraschend verschiedenen Musikspiele-Genre zu gedenken. Seine großen Verdienste um die Rettung langweiliger Partys und die Förderung der Plastikgitarren-Produktion bleiben unvergessen. Es fällt uns immer noch schwer, diesen Verlust zu begreifen. War es nicht erst gestern, dass Paul McCartney und Ringo Starr bei einer Microsoft-E3-Pressekonferenz aufmarschierten, um ein Produkt dieser Gattung anzupreisen? Unvergessen sind auch die glücklichen Tage, als man keinen Spieleladen mehr betreten konnte, ohne einen Slalomlauf um ganze Pyramiden riesiger Instrumente-Boxen zu absolvieren.
 
Doch seit einigen Monaten häuften sich die Anzeichen, dass die Gesundheit des Genres angegriffen war. Erst verscherbelte MTV Games Rock Band-Schöpfer Harmonix für etwas Kleingeld. Und am 9. Februar wurden richtige Sargnägel ausgepackt: Guitar Hero, die legendäre Serie, welche den Instrumenten-Controller-Boom 2005 so richtig startete, wurde von Activision Blizzard zu Grabe getragen. Kein neues Spiel ist geplant, die entsprechende Abteilung wird aufgelöst, Entwickler-Arbeitsplätze werden abgebaut und auch die Tage von Support in Form neuer Download-Tracks sind gezählt.
 
Zu stark gemolken
 
Die Kuh wurde in einem Ausmaß gemolken, dass es schmerzt.
Nach so einem Schicksalsschlag stellt man sich natürlich Fragen wie „Hätte ich etwas ändern können, wenn ich damals den Country Track Pack gekauft hätte“? In die Trauer mischen sich auch Wut und Argwohn; schon werden Fragen laut, ob es sich um einen natürlichen Tod handelte. Denn die Kuh wurde in einem Ausmaße gemolken, dass es schmerzt. Selbst wenn man Mobil-Versionen außen vor lässt, brachte alleine Activision zwischen Frühjahr und Ende 2009 nicht weniger als sechs Musi-Produkte für Heimkonsolen heraus: Guitar Hero Metallica, Smash Hits, Guitar Hero 5, DJ Hero, Band Hero und Guitar Hero Van Halen. Im selben Zeitraum steuerte MTV Games‘ noch Rock Band: The Beatles und Lego Rock Band bei. Das waren acht Spiele in neun Monaten – da klampfte sich auch der strapazierfähigste Fan ins Übersättigungs-Delirium.
 
Kann Rock Band überleben?
 
Die Unwilligkeit der Kundschaft, beliebig viele Variationen des selben Grundspielprinzips zu kaufen, wurde durch die überschaubare Innovations-Bandbreite des Genres gestärkt. Das Basis-Gameplay mit Gitarre hat sich seit dem ersten Guitar Hero nicht wesentlich geändert; im Prinzip bekam man immer marginal verbesserte Versionen mit neuen Songs geboten – allerdings zum happigen Konsolenspiel-Vollpreis. Und wer einmal eine drahtlose Gitarre besaß, hatte keinen echten Anlass, sich die diversen Nachfolgemodelle zuzulegen – im Prinzip spielte sich alles gleich.
 
Kaum hat sich eine prominente Gruppe aufgelöst, träumen Fans auch schon von einem Comeback: Es kann doch nur eine Frage der Zeit sein, bis das Genre revitalisiert und frisch geföhnt wieder auf der Bühne steht? Harmonix, die Erfinder sowohl von Guitar Hero als auch Rock Band, sind nach der MTV-Abnabelung jedenfalls etwas zerzaust, aber lebendig und wollen letztere Serie auch fortsetzen: „Der Rhythmus von Rock Band marschiert weiter“, heißt es in einer Stellungnahme von Firmensprecher John Drake, und: „Das Musikgenre erfordert ständige Innovationen“. Aus einfallslosen Flops wie Rock Band: Green Day hat man hoffentlich seine Lektionen gelernt.
 
Mobile Zukunft
 
Vielleicht haben Guitar Hero und Konsorten auch auf die falschen Plattformen gesetzt
Vielleicht haben Guitar Hero und Konsorten auch zu lange auf die falschen Plattformen und Geschäftsmodelle gesetzt. 50-Euro-Disc-Spiele sind ähnlich dinosaurig wie Peter Maffay; warum nicht das Grundspiel als Download verschenken und dann Kohle mit Zusatzsongs und Controller-Verkauf machen? Man sehe sich nur den Erfolg des iPhone-Rhythmusspiels Tap Tap Revenge an, das in der Grundversion kostenlos ist, aber gut Kohle mit Track-Downloads macht. Und das ist kein Nischenthema, sondern begeistert den Massenmarkt: In Apples Liste der erfolgreichsten iPhone-Apps in den USA taucht die Tap-Tap-Serie gleich dreimal in den Top 10 auf.
 
Guitar Hero ist vielleicht (vorerst) tot, aber der Spiele-Rock wird weiter leben! Es ist nur eine Frage der Zeit, bis kreative Entwickler mit frischen Spielideen und womöglich auf neuen Plattformen eine Renaissance der Luftgitarren-Orgien einläuten werden. Bis dahin bleiben mir schöne Erinnerungen an Genre-Hochgefühle: Damals, als ich erstmals bei „Hit me with your best shot“ eine 100%ige Noten-Trefferquote erreichte. Gänsehaut beim triumphalen „Da-Daaaa!“ von Pinball Wizard verspürte. Oder auf den frisch erworbenen Rock-Band-2-Trommeln den Rhythmus von „Go your own way“ verinnerlichte.
 
Long live Rock!
 
Liebe Trauergäste, mit solchen schönen Erinnerungen möchte ich meinen Nachruf abschließen und euch noch mit einigen passenden musikalischen Empfehlungen bedenken. Auf Elton John’s Ouvertüre „Funeral for a friend“ folgt am besten als Guitar-Hero-Gedenksong „No more heroes“ von den Stranglers. Als Anspielung auf die Marktüberflutungs-Gier des Activision-Managements darf „Money (That’s what I want)” für die Songliste in Erwägung gezogen werden. Wer’s verträgt, darf Abbas „Thank you for the music“ einwerfen, bevor wir uns mit The Who verabschieden: „Rock is dead, they say - Long live rock.“
 
 
Euer Heinrich Lenhardt
Abfuehrung
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