Mick Schnelle meint:

Gebt mir Gefühle! Meinung

Spieleveteran Mick Schnelle schreibt in seiner GamersGlobal-Kolumne dieses Mal über etwas, das seiner Meinung in modernen Computer- und Videospielen sträflich vernachlässigt wird.
Mick Schnelle 10. Juni 2009 - 10:54 — vor 14 Jahren aktualisiert
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Fangfrage: Wann habt Ihr Euch das letzte Mal Sorgen um Euren Spiele-Helden gemacht? Also, nicht, ob er die nächste Sekunde überlebt. Oder ob ihm die Heiltränke ausgehen. Sondern richtige Sorgen, wie bei einem Roman- oder Filmhelden. Noch nie? Kein Wunder, das ist mir auch noch nie so gegangen. Oder zumindest seit geraumer Zeit schon nicht mehr.

Polygon-Pappkameraden

Computerspiele-Helden sind nur Polygon-Pappkameraden
Computerspiele-Helden, das sind doch in aller Regel nur Polygon-Pappkameraden, deren emotionale Tiefe so tiefgründig wie das Wattenmeer bei Ebbe ist. Dasselbe gilt für andere Charaktere, denen man so im Spielverlauf begegnet. Habt Ihr je eine Träne vergossen, wenn einer davon den Löffel abgegeben hat? Dass es auch besser geht, dass emotionale Bindungen zumindest für die Länge eines Spiels  aufgebaut werden können, beweisen einige wenige Ausnahmen, wie etwa das Uralt-Adventure Shannara. Darin benutzten die Macher die Story geschickt, um Shella, die Begleiterin des Helden, dem Spieler derart ans Herz wachsen zu lassen, dass ihr plötzlicher Tod kurz vor Schluss ein echter Schock ist. Das Magnetic Scrolls Adventure Corruption erzeugte mit einer gnadenlos gut geschriebenen Szene, in der die Ehefrau ihrem Mann eiskalt erklärt, dass sie ihn verlässt, beinahe perfekt Wut und Empörung. Und auch Rollenspiele japanischer Bauart bemühen sich meist darum, die Bindung zwischen Spieler und Helden aufzubauen.

B-Film-Niveau

Doch das sind Ausnahmen von der Regel. Vor allem in Shootern läuft man stets mit einem mehr oder weniger namenlosen Hampelmann durch die Gegend. Wenn es denn etwas storyähnliches geben sollte, wird meist nicht mal die Komplexität eines beliebigen Michael-Dudikoff-Peng-Peng-Films der frühen 80er Jahre erreicht. Ja, auch hier gibt es Ausnahmen, aber die sind so selten, dass selbst heute noch zumeist Max Payne als Gegenbeispiel herhalten muss.

Das Erstaunliche: Selbst in Adventures und Rollenspielen geht’s meist sehr steril zu, obwohl doch diese Genres prädestiniert für Handlungstiefe und glaubwürdige Charaktere wären. Weit gefehlt: Spätestens nach den ersten vier Quests versickern die meisten Fantasyreiche in der klischeehaften Pseudo-Gefühlswelt. Und jede Folge von Law & Order oder CSI ist spannender als alle Krimiadventures zusammen. Manchmal verlieren die Entwickler vor lauter Rätseldesign sogar selbst die Geschichte und damit auch alle Emotionalität aus den Augen. So wie in Geheimakte: Tunguska, wo in der ursprünglichen Verkaufsversion das vermeintliche Hauptziel, der entführte Vater der Heldin, mittendrin vergessen und im Abspann mit keiner Silbe mehr erwähnt wurde. Immerhin erzeugten die Herrschaften damit Frust – auch eine Emotion. Klar, Hersteller wie Bioware versuchen, Emotionen in Spiele wie Dragon Age einzubauen. Aber oft endet dieser Versuch dann doch nur in endlosem Geschwafel von Wachsfiguren-Stereotypen. Labernde Charaktere erzeugen nicht automatisch Anteilnahme beim Spieler!

Handlungs-Drang

Zuerst kommt das Spielkonzept, dann die Mechanik, Grafik, Sound, und erst am Schluss die Handlung.

Warum Emotionen in der Geschichte der PC- und Videospiele nur selten eingesetzt wurden, lässt sich leicht erklären: In den frühen Spieletagen gab es meist viel zu wenig Speicher, um opulente Handlungen zu inszenieren. Und mit Klötzchengrafik und 8-Bit-Dudelsound lassen sich Emotionen kaum transportieren. Warum das heute aber immer noch so ist, ist jedoch eigentlich nicht erklärlich. Aber immer noch entsteht die Story, über die sich Emotionen transportieren lassen, eher nebenbei. Zuerst kommt das Spielkonzept, dann die Spielmechanik, Grafik, Sound und Multiplayer. Und meist erst ganz zum Schluss -- so scheint es zumindest im Ergebnis --, denkt jemand über die Handlung nach. Zudem fehlen hier offensichtlich Profis, die geschliffene Dialoge schreiben können, die nicht klingen, als würden sich zwei 12jährige bemüht erwachsen auf dem Schulhof unterhalten. Von einer interessanten Handlung ganz zu schweigen.

Oder wie wäre es mal mit einem Bösewicht, der kein Irrer mit Bombe oder ein schwarzbärtiger Zauberer mit Allmachtsphantasien ist, sondern ein glaubwürdiger Krimineller, dessen finsteren Ziele nicht bereits in der allerersten Spielszene klar werden? Warum nicht mal eine raffinierte Handlung stricken, die auch Emotionen zulässt, statt nur Bumm-Bumm oder irgendwelchen umständlichen Elfenpathos? Ich hätte jedenfalls gern mal ein modernes Spiel, das mich mitreißt, das mich in ein rasantes Wechselbad aus Lachen, Weinen und Wut stürzt, das endlich mal die albernen Schranken starrer Szenariovorgaben einreißt, und dadurch echte Emotionen freisetzt. Filme können das, Bücher auch. Warum also keine Spiele?

Euer Mick Schnelle
 

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