Steffen Itterheim packt aus

Die Magie der Raubkopie Meinung

Steffen Itterheim, selbst Game Designer, schreibt uns: "Über Raubkopien wird viel geredet aber wenig nachgedacht. Sie sind je nach Standpunkt mal ein Segen oder ein Fluch, aber immer Anlass für hitzige Diskussionen. Ich habe versucht, einige der Argumente beider Seiten ins rechte Licht zu rücken, sprich: der Realität anzunähern."
GamingHorror 17. Dezember 2009 - 12:53 — vor 14 Jahren aktualisiert
Anfuehrung
Dieser Inhalt wäre ohne die Premium-User nicht finanzierbar. Doch wir brauchen dringend mehr Unterstützer: Hilf auch du mit!
Stellt euch vor, ihr fahrt Bahn aber löst kein Ticket - obwohl doch jeder weiß, dass raubfahren verboten ist. Oder ihr zahlt keine GEZ-Gebühr und schaut trotzdem fern – oder besonders böse: ihr schaut gar kein fern und habt den Fernseher nur für die Konsole und zahlt trotzdem nicht – wie dem auch sei: wir alle wissen das dies raubsehen ist. Aber ich glaube kaum einer würde sich aufregen, dass wir dem Lokführer seinen Arbeitsplatz zunichte machen oder das öffentlich-rechtliche Fernsehen seiner unabhängigen Berichterstattung nicht mehr nachkommen könne. Vor allem nicht, wenn ich da an Frontal 21 denke.

"Raubkopieren" ist genau betrachtet ein absurder Begriff

Bevor ich zur Sache komme, wollte ich damit veranschaulichen wie absurd der Begriff „raubkopieren“ im Grunde ist. Eine Raubkopie erlaubt die Nutzung einer Software als Kopie, das Original bleibt erhalten und wird niemandem weggenommen oder gar gewaltsam entrissen. Korrekterweise müsste es also „schwarzkopieren“ oder "schwarzbrennen" oder für Spiele eigentlich noch treffender schwarzspielen heißen

Korrekterweise müsste es also für Spiele eigentlich 'schwarzspielen' heißen
Denn: Raub ist Diebstahl mit Gewaltandrohung oder -Anwendung. Und Diebstahl bedeutet, ich nehme jemandem etwas weg was dieser dann nicht mehr hat. Wenn ich die Spiele-DVD eines Freundes entwende, bin ich ein Dieb. Haue ich ihm dabei eins über die Rübe, ein Räuber. Wenn er sie mir aber mit seinem DVD-Brenner kopiert, ist er ein Raubkopierer. Man könnte auch Datenvergewaltiger dazu sagen, das wäre von der Begrifflichkeit her genauso falsch. Gegenüber der Rechtsverletzung durch Raub oder Diebstahl hat er dabei auch keine schlotternden Knie, keine Angst erwischt zu werden, kein schlechtes Gewissen. Und wenn er gewisse Züge von Menschlichkeit besitzt, dann freut er sich sogar darüber einem Freund einen Gefallen getan zu haben. Was zuhause geschieht, bleibt unter Freunden und Familie und das Unrechtsbewusstsein vor der Tür. Natürlich hat der Freund nun gegen das Urheberrecht verstoßen, doch weder Gewalt angewendet noch mir oder sich etwas weggenommen. Diebstahl oder gar Raub war es keiner. Trotzdem ist es natürlich eine Rechtsverletzung und somit strafbar.

Aber nicht etwa aus dem Grund, das man Diebstahl am Publisher oder Entwickler begeht – die können ihre Software ja weiterhin verkaufen. Tatsächlich dürfte die Nutzung von Raubkopien noch sehr viel eher unter Betrug fallen – analog zum Schwarzfahren und Schwarzsehen. Ich denke dabei an Vortäuschung falscher Tatsachen, nämlich, dass man vorgibt, das Spiel rechtmäßig erworben zu haben. Mitunter auch, um Kundenservice in Anspruch zu nehmen oder Onlinedienste, die dem Urheber Kosten verursachen.

Knackpunkt: Kollateralschäden

Und hier sehe ich den eigentlichen Knackpunkt: die moderne Raubkopie an sich richtet längst nicht den größten Schaden an durch den möglicherweise ausbleibenden Kauf der legal erhältlichen Version. Ohnehin würden die wenigsten Raubkopierer die legale Version kaufen, selbst wenn es gar keinen anderen Weg gäbe – doch dazu später mehr. Natürlich verursachen die Kopien tatsächliche Kosten in teils nicht unerheblichem Maße. Ein iPhone-Indie-Spiel mit Online-Komponente, das zu 95% von Raubkopierern genutzt wird, wird dem Entwickler die monatliche Zahlung seines Servers zu einer sehr schmerzhaften Angelegenheit werden lassen. Vergleichbar mit den Kriegen aus den letzten Jahrzehnten, deren nachfolgende "Friedenssicherung" in der Regel mehr Todesopfer forderte als der Krieg selbst, verursacht die Raubkopie ihren Schaden im Nachhinein und schleichend.

Pinch Media hat festgestellt, dass nur jeder 200ste Raubkopierer (ich bleibe beim falschen Begriff, um die Diskussion nicht zu erschweren) einer seiner Apps jemals nachträglich das Original kauft. Angesichts solcher Zahlen, wie selten man einen Raubkopierer zum Kauf einer Software selbst im Niedrigpreis-Bereich bewegen kann, bin ich überzeugt, dass die Anwesenheit der Raubkopierer nur einen geringen Einfluss auf den tatsächlichen Markt haben. Gänzlich ohne Raubkopierer würde der Softwaremarkt aus meiner Sicht kaum anders aussehen, als jetzt mit Raubkopierern. Die Software hätte weniger, dafür ausschließlich ehrliche Nutzer. Von den tatsächlichen Ladendieben einmal abgesehen. Aber sie hätte eben auch eine geringere Verbreitung, denn die Raubkopierer sind – puff – einfach weg und mit ihnen ein Teil der Nutzerbasis. Vielleicht bleibt jeder zweihundertste Raubkopierer noch als ehrlicher Käufer übrig, aber längst nicht für jede Software, denn nun muss auch der Raubkopierer seine Nutzung moderieren – das Geld und vielleicht auch die Zeit reicht eben nicht für die monatlich dutzendfach kopierten Spiele. Er wird selektiver, spielt weniger Titel länger. So, wie es alle anderen ehrlichen Softwarekäufer derzeit tun.

Raubkopierer als Preistreiber?

Eine Firma, die Preiserhöhungen mit Raubkopien begründet, sagt nicht die ganze Wahrheit.
Ob nun die Preise mit oder ohne Raubkopierer höher oder niedriger wären, dafür finden sich erstaunlicherweise Begründungen für jedwege vorstellbare Kombination. Keine davon überzeugt mich, denn das ist um den heißen Preis, äh, Brei herumgeredet. Ich weiß nur: wir leben in einer Welt mit Raubkopien und mit den Preisen die wir alle kennen. Meines Wissens wurde noch nie eine Software teurer oder billiger verkauft, allein wegen der Raubkopierer. Schon seit Computer-Urzeiten wurden Preiserhöhungen recht fadenscheinig mit der steigenden Anzahl an Raubkopien begründet. Aus meiner Sicht ist es dabei vollkommen irrsinnig, ausgerechnet die legalen Nutzer für das Fehlverhalten anderer zur Kasse zu bitten und dabei gleichzeitig durch den höheren Preis – ohne eben höhere Qualität abzuliefern – die Attraktivität der Raubkopie weiter zu erhöhen. Es läuft auch dem Prinzip Angebot und Nachfrage zuwider, schließlich ist die Nachfrage ja offensichtlich da. Eine Firma, die Preiserhöhungen mit Raubkopien begründet, sagt zumindest nicht die ganze Wahrheit.

Manche beissen sich an den Piraten die Zähne aus. Andere an den nicht vollständig funktionierenden Cracks dank holländischer Installationsanleitung.

Raubkopierer sind keine potentiellen Käufer

Der große Fehler, der bei der Betrachtung von Raubkopien gemacht wird, ist zu glauben oder zu behaupten, dass die Raubkopierer ein Teil des adressierbaren Marktes sind. Die Annahme, dass Raubkopierer potentielle Käufer sind, ist nur in Ausnahmefällen richtig. Damit meine ich, das eine Person zwar sowohl Originale als auch Raubkopien kaufen oder nutzen mag, aber die allerwenigsten eine bereits genutzte Raubkopie durch das Original ersetzen werden. Zumindest nicht, weil sie das Spiel für wertvoll finden und die Entwickler belohnen wollen. Wenn Kopie durch Original ersetzt wird, dann fast immer, weil erstere Mängel aufweist. Etwa ein nicht vollständig entfernter Kopierschutz, ein Crack, der zu unerklärlichen Fehlern führt, oder nicht nutzbare Online-Features. Nur wenn das Original kann, was der Crack verwehrt, wird gekauft. Da man auf dem iPhone weder Cracks braucht noch Angst haben muss vor Trojanern noch vom Onlinemodus ausgeschlossen wird, fällt das Kopieren auf dem iPhone besonders bedenkenlos aus. Obwohl man damit faktisch kaum Geld sparen kann, die meisten iPhone-Spiele kosten ja kaum etwas.

Den oft übersehenen Schaden, den Raubkopierer auch an sich selbst anrichten, sehe ich in der oftmals absurden Legitimation des Kopierens. So hört man immer wieder die folgende Schutzbehauptung: „Wenn die Spiele besser wären, würde ich auch öfter mal eins kaufen!“ Ach so, aber die eigene Zeit investiert man dann doch gerne in das im Umkehrschluss schlechte Spiel? Selten ist mal jemand ehrlich genug und sagt: „Ich hab dieses Jahr wieder mindestens 300€ gespart weil ich 6 raubkopierte Spiele tatsächlich längere Zeit gespielt habe.“ Für die Mehrzahl der Raubkopierer dürfte das doch der vorrangige Grund sein, warum man kopiert. Es kostet nichts und ist zudem bequem und schnell.

Kostenlos, bequem und schnell


Und genau diese Kosten-Nutzen Rechnung müssten alle ehrlich zugeben, die Raubkopien nutzen – hier sollte man nicht mit Heroismus und Freiheitsgedanken und ohnehin stinkreichen Megakonzernen argumentieren! Alles ausprobieren zu können, ohne dafür Geld ausgeben zu müssen, das steht doch zusammen mit der Bequemlichkeit, die so ein Download zusätzlich anbietet, im Vordergrund. Ob der kopierte Titel jetzt Schrott ist oder ein Toptitel, oder vom Indie Entwickler oder vom Publisher-Konglomerat A. oder E. ist vollkommen unerheblich. Wer macht sich beim Kopieren darüber schon Gedanken?

Trotzdem ist man bei einem gekauften Spiel eher bereit, diesem noch eine zweite Chance zu geben.
Dann gibt es zudem noch so eine interessante, psychologische Seite mit dem „Besitztum“ oder genauer gesagt: mit der Entscheidung zum Kauf. Jeder hat es schon mal erlebt, das ein Freund Schrott gekauft hat aber nicht müde wird es gut zu reden. Wir haben uns alle schon ähnlich verhalten, ohne das wir uns dessen bewusst waren. Die menschliche Eigenart, einer einmal getroffenen Entscheidung treu zu bleiben um unter anderem sein Gesicht zu wahren, ist ein besonders mächtiges Instrument dem schwer entgegenzuwirken ist. Wenn man sich also Spiele kauft, werden die guten automatisch besser, und die schlechten sind dann gar nicht mal so schlecht – immerhin habe ich in diese Produkte Geld investiert, man wird nachsichtiger und investiert etwas mehr Zeit. Natürlich kann der Schuss auch nach hinten losgehen und sich furchtbar ärgern, für so einen Schrott auch noch Geld ausgegeben zu haben. Trotzdem ist man bei einem gekauften Spiel eher bereit, diesem noch eine zweite Chance zu geben – es sei denn, man hat so viele Alternativen, dass man diesen Fehlkauf einfach als Verlust abschreiben kann. Dann sollte man das auch tun, und nicht argumentieren, dass dies ein Grund sei zu rauben, brandschatzen, plündern, vergewaltigen, rädern, vierteilen ... kopieren. Nein, verglichen mit dem vorangegangen Aktivitäten ist kopieren harmlos. Aber, das will ich mit den vorangegangenen Zeilen belegen, es führt leider zu Unehrlichkeit.

Sind dagegen alle Spiele ohnehin kopiert, kann man leicht die Wertschätzung für die Spiele verlieren. So kommt es, das man im Laufe der Zeit immer weniger Spiele kauft, und immer mehr bis ausschließlich kopiert. Und durch den Überkonsum kann man, wie auch bei Drogen, in eine Teufelsspirale geraten. Man will immer mehr und mehr und ist gewohnt, das Neueste und Beste schon gestern zu bekommen. Dabei verliert sich schnell mal das Besondere des Spielerlebnisses im desensibilisierenden Überkonsum. Dann wird selbst an Toptiteln in lächerlichster Form kritisiert und bemängelt – „GTA 4 hat keine Fahrräder mehr? Das kauf ich nicht!“ Das dient wiederum als Rechtfertigung, warum die Kopie so wichtig sei, nur so könne man sich ein vollständiges Urteil bilden. Blödsinn, das Problem liegt doch an anderer Stelle, und da haben sich die Kopierer selbst ein Ei gelegt. 

Kein Rückgaberecht für Datenträger – warum eigentlich?

Aber die Katze im Sack kauft mensch tatsächlich ungern
Aber bleiben wir kurz bei dem Argument mit dem "vollständigen Urteil". In der Tat erscheinen immer öfter gar keine Demos mehr zu Spielen oder erst nach Release -- dass Radon Labs zu ihrem Drakensang – Am Fluss der Zeit zwei Monate vor Release eine Demo veröffentlicht, ist GamersGlobal bereits eine News wert. Weil das so selten geworden ist. Aber die Katze im Sack kauft mensch tatsächlich ungern. Deshalb tut sich der Handel meines Erachtens keinen Gefallen damit, geöffnete Datenträger nicht wieder zurückzunehmen. Der Softwarefachhandel erlaubt kein munteres Ausprobieren, wohl aus Angst, durch Raubkopien zum reinen Videospielverleih zu mutieren. Und natürlich, weil so ein Spiel heutzutage schon mal in einem Tag durchgespielt sein kann, oder der Händler nicht sicherstellen kann, dass der CD Key nicht weiter verwendet wird. Aber genau dieses Rückgaberecht wäre eine willkommene Möglichkeit, Spiele und andere Software bedenkenlos anspielen und bei Gefallen natürlich behalten zu können. Wie das in der Praxis gehen könnte, kann ich nicht sagen, also schlagt mich nicht. Wahrscheinlich müssen wir bis zum reinen Onlinevertrieb damit leben, dass die Entwickler stattdessen aufwändig erstellte Demos abliefern müssen und die darauf verwendete Zeit natürlich der Entwicklung des fertigen Produkts fehlt. Weswegen, siehe oben, Demos gerne erst nach Release veröffentlicht werden.

Krücke Demoversion

Ein Grund mehr, die Zukunft in der digitalen Distribution zu sehen
Demos halte ich für eine absolute Krückenlösung, insbesondere, wenn sie erst nach Veröffentlichung des Spiels erscheinen. Warum sollte ich mir eine beschnittene Spielfassung ansehen, um in der Vollversion noch mal dasselbe zu spielen? Und wenn es mir gefällt, dann kann ich bislang nur in Ausnahmefällen per Knopfdruck die Vollversion frei schalten und einfach weiterspielen. Ein Grund mehr, die Zukunft in der digitalen Distribution zu sehen, wo tatsächlich die Vollversion auch gleichzeitig die Demo ist. Dass das für beide Parteien wunderbar funktioniert, zeigen beispielsweise die Xbox Live Arcade-Spiele. Doch derzeit hat die Raubkopie als vollständig funktionierende Demo noch einen zu großen Reiz in sich, eben gleich weiterspielen zu können. Da gibt es keine Kaufaufforderung mehr, die uns ins Gewissen reden könnte. Und das ist das eigentliche Problem: Hat man einmal die Vollversion als Raubkopie, animiert einen allerhöchstens noch die Seriennummer für den Online-Modus oder andere fehlende Features zum Kauf. Reine Offline-Spiele haben da also besonders schlechte Karten, werden allenfalls zufällig nachgekauft, wenn man sie Monate später auf dem Grabbeltisch sieht.

Raubkopierer sind pragmatische Geldsparer – nichts weiter

Meine Bitte an alle Raubkopierer da draußen: Bleibt bitte wenigstens ehrlich! Ich kann als Game Designer nachvollziehen, wenn einer sagt, dass er sich damit viel Geld sparen und einfach alles ausprobieren kann. Zumindest aus wirtschaftlicher Sicht ist das ein verständlicher Standpunkt. Illegal zwar, aber genauso ist schwarzfahren und schwarzsehen und kiffen illegal, und dennoch gehört es für viele zum Alltag. Wer ohne Raubkopien ist, werfe den ersten Stein. Und frage sich dann, ob er auch niemals schwarzgefahren ist, immer brav GEZ für alle Geräte bezahlt hat und noch nie an einem Joint genuckelt hat.

Fragt euch dann aber bitte auch ganz ehrlich, liebe Raubkopierer, welches Spiel ihr ohne die Möglichkeit, an eine Raubkopie ranzukommen, doch gekauft hättet. Dann könnt ihr den Schaden, den ihr anrichtet, tatsächlich beziffern. Ich kenne sogar Leute, die würden heute noch keine Xbox 360 besitzen, wenn es nicht die Möglichkeit gäbe, die Spiele dafür einfach kopieren zu können. Die von diesen Leuten nach zwei Jahren inzwischen legal erworbenen Spiele lassen sich zwar an einer Hand abzählen, aber immerhin: Manchmal ist ein wenig ja besser als gar nichts. So rum kann und darf man das auch mal sehen, wenn man es nicht als Rechtfertigung fürs Kopieren missbraucht. Im übrigen verstehe ich die besonders hoch erhobenen Zeigefinger mancher Moralapostel nicht. Wenn unter Entwickler-Kollegen Kopien ausgetauscht werden, und einer dann meint, er müsse seine Kollegen darauf hinweisen, dass sie sich ihren eigenen Arbeitsplatz kaputtmachen würden, dann darf man schon mal giftig zurückfragen: „Wieso? Das Spiel ist doch gar nicht von uns.“ Nach der ersten Reaktion (blöd aus der Wäsche gucken) ging es dem Moralapostel dann nur noch ums Prinzip und Überzeugung, nicht mehr um einen Dialog und Verständnis. In dieser Hinsicht sind mir wirklich beide Lager der Prinzipienreiter zuwider. Nein, es gibt keine Rechtfertigung für und schon gar kein Recht auf Raubkopien. Aber ja, es gibt nun mal Raubkopien und wir alle (naja, zumindest sehr viele) tun es.

Die doppelte Scheinheiligkeit: Raubkopierer machen es natürlich nicht aus finanziellen Gründen und Hersteller drohen legalen Kunden mit Piraterie-Preiszuschlag.

Ohne Raubkopien allerhöchstens 10% Mehreinnahmen


In Einzelfällen beträgt der Raubkopie-Anteil 95% und mehr.
Wenn beide Seiten ehrlich wären und die Daten und Fakten zusammentragen und nüchtern betrachten würden, dann wäre die Mär von der bösen, arbeitsplatzvernichtenden Raubkopie ebenso schnell gestorben wie der Heroismus und der Robin-Hood’sche Freiheitsgedanke, der mit dem Download angeblich einhergeht. Gesellschaftskritik durch Urheberrechtsverletzung? Also wirklich. Ganz ohne Folgen sind die Raubkopien sicher nicht, auch wenn der von Firmenseite genannte wirtschaftliche Schaden mesit vollkommen übertrieben ist. In einer Welt ohne Raubkopien dürften die interessantesten Produkte mit aller-allerhöchstens 10% Mehreinnahmen rechnen, und das finde ich schon hoch gegriffen. Umso absurder ist es, das ausgerechnet im Unter-5-Euro-Bereich auf dem iPhone die Rate der Raubkopien laut Entwickler Pinch Media mindestens 60% beträgt. In Einzelfällen beträgt der Raubkopie-Anteil sogar 95% und mehr, so etwa bei Fishlabs neuestem Rennspiel Rally Master Pro 3D am Erstverkaufstag.

Gleichzeitig gibt es Plattformen, die komplett frei von Raubkopien sind und dem App Store in grundlegenden Dingen ähneln. Und trotzdem alles andere als lukrativ sind. Ich denke dabei an die Xbox Live Indie Games, immerhin könnten die an geschätzte 10 bis 15 Millionen Xbox-Live-Mitglieder verkauft werden. Nur vier Indie-Games haben bislang Umsätzen jenseits der 50.000 US Dollar geschafft. Die meisten jedoch bleiben unter 5.000 US Dollar Umsatz. Davon kann nicht einmal ein einzelner Entwickler leben, geschweige denn ein Team. Die Gründe für diesen Misserfolg dürften im fehlenden Marketing und der Platzierung der Indie Games in einer Unter-Unterkategorie, aber vor allem im Umfeld zu finden sein: während im App Store aufgrund der Hardwarebeschränkungen und des offenen Systems sich Indie- und Internationale Entwickler auf Augenhöhe gegenüberstehen, müssen Xbox-Live-Indie-Entwickler zwangsläufig gegen die Arcade- und Vollpreistitel anstinken, und sehen im Vergleich dazu auch ziemlich alt aus. Demzufolge schaut man mal neugierig rein, testet ein paar Spiele an -- und kommt nicht mehr wieder.

Viele Entwickler sagen: "Piraterie geht mir am A.... vorbei!"

Meine Game-Designer-Kollegen, die ebenfalls für das iPhone entwickeln, sagen zu dem Thema Piraterie übrigens nur: „Piraterie? Interessiert mich nicht, geht mir am A... vorbei!“. Arcen Games, Entwickler von AI Wars, benutzen kein DRM, weil sie ihre ehrlichen Kunden nicht wie potenzielle Diebe behandeln wollen, nur um es den unvermeidlichen Raubkopierern etwas schwerer zu machen. Ähnlich halten es viele Indie-Entwickler und zeigen damit auch, was sie auszeichnet: gegen den Strom zu schwimmen.

Ich persönlich würde es gerne anders ausdrücken: Raubkopierer existieren nicht! Und zwar weil ich sie nicht als Teil des Marktes ansehe und somit in meinen Augen keine potentiellen Kunden sind. Ich werde als iPhone Entwickler trotzdem das Nötigste tun, um es den Raubkopierern nicht zu einfach zu machen. Denn wenn das iPhone eines zeigt, dann das: Es wird dort besonders stark kopiert, wo es besonders einfach ist. Fürs iPhone braucht man nämlich nur einmal eine Software installieren und ausführen – auf dem PC muss man schon mit (in der Regel trojanerverseuchten) Cracks und holländischen Installations-Anleitungen kämpfen, auf der Xbox 360 sogar seine Box öffnen, wobei die Garantie flöten geht und man Gefahr läuft, von Xbox Live ausgeschlossen zu werden. Während es auf dem iPhone mindestens 60% sind, wissen wir zwar über den PC wenig Einheitliches aber doch so viel, das Raubkopien vor allem dann eine negative Rolle spielen, wenn das Spiel noch vor dem Erstverkaufstag im Internet zum download bereit steht. Für die Xbox 360 wissen wir jedoch – wegen der angeblich 1 Million kürzlich gesperrter Konsolen – das die Rate der Modder wie auch schon bei der ersten Xbox bei vermutlich rund 3% liegt. Und die Playstation 3 hat gar keine Raubkopierer, da darf man auch gern mal laut nachdenken, warum ein System gänzlich ohne Raubkopien trotzdem nicht deutlich besser dasteht als der Konkurrent...
das Marketing und der Preis?

Raubkopien sind normal

Bei all dem Gezanke um die Bösartigkeit und Schlimmhaftigkeit von Raubkopien und Raubkopierern fehlt mir bisher von beiden Seiten die Aussage: Raubkopien sind doch normal. Nichts besonderes. Alltag. Bitte weitergehen, hier gibt’s nichts zu sehen und genau genommen endet mein Kommentar an dieser Stelle.

Zum Schluss aber noch ein paar Gedankenexperimente: Wie würde es sich wohl verhalten, wenn man zum Runterladen einer Raubkopie an die nächste Straßenlaterne gehen müsste, um die dort vorhandene Internetleitung anzuzapfen, weil man nur über deren Datenleitungen an Raubkopien käme? Oder wenn man seine Raubkopien nur noch beim Dealer am Hauptbahnhof bekäme, ab 23.00 Uhr? Oder wenn einem die Softwareindustrie jedes Jahr einen Brief schicken würde, um seine Angaben zu den im Haushalt vorhandenen spielfähigen Computern und Spielkonsolen zu aktualisieren?

Raubkopien existieren einfach, sie sind lästig, jeder wünscht sie sich weg – dabei sind sie ein Bestandteil jeden Softwaremarktes. Also müssen wir mit ihnen leben. Gelegentlich haben sie auch ein paar positive Effekte, ohne das man darüber jetzt Arien singen möchte: ohne sie bekämen bestimmte Produkte oder Personen ein paar News/Interviews weniger, ohne sie wäre der Online-Vertrieb von Spielen nicht so stark vorangetrieben worden, ohne sie hätte ich diesen Artikel nie geschrieben. Und ohne sie würde es euch nicht in den Fingern kribbeln, die vollkommen unlogischen Schlussfolgerungen meinerseits in einem Kommentar aufzudecken. Nur zu!

Autor: Steffen Itterheim (www.steffenitterheim.de)

Abfuehrung
Um über diesen Inhalt mitzudiskutieren (aktuell 108 Kommentare), benötigst du ein Premium-Abo.