Farce mit 450.000 Euro Preisgeld

Deutscher Computer-Kinderkram-Preis Meinung

Heute war ein großer Tag. Er lehrte uns, dass ein Adventure für Erwachsene durch Zeichentrickgrafik zum "Jugendspiel" wird (Whispered World), vor allem aber, dass ein und dasselbe Produkt sowohl "bestes deutsches" als auch "bestes internationales" Spiel werden kann -- sofern es einen englischen Titel besitzt. Jörg Langer meint: Farce!
Jörg Langer 29. April 2010 - 23:50 — vor 13 Jahren aktualisiert
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Der deutsche Computerspielpreis wurde vor wenigen Stunden in Berlin vergeben. Eigentlich eine großartige Sache: Eine Branche, die von entsprechend gepolten älteren Menschen nur als Killerspiele-Freakshow wahrgenommen wird, verleiht einen großen Preis (mit insgesamt theoretisch 500.000 Euro Preisgeld) in stattlichem Rahmen und mit Beteiligung dreier wichtiger Verbände, des deutschen Kulturstaatsministers sowie in enger Partnerschaft mit dem Medienboard Berlin-Brandenburg, den Medientagen München und der Bayerischen Staatskanzlei. Die Computer- und Videospiele, so scheint es, sind endlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Gute Spiele fördern heißt schlechte Spiele nicht fördern. Was sind schlechte Spiele, wer legt das fest?
Doch die hinter dem Preis stehende Denkschule, immer wieder zitiert vom obersten Medienwächter Wolf-Dieter Ring, lautet "Gute Spiele fördern". Das klingt erst mal gut. Was aber Ring, der nicht nur Vorsitzender der Jury ist, sondern auch Präsident der Bayerischen Landeszentrale für Neue Medien und Vorsitzender der KjM (Kommission für Jugendmedienschutz), damit in Wahrheit meint, ist: "Schlechte Spiele nicht fördern". Was aber sind schlechte Spiele, wer legt das fest?

Ganz einfach: Schlechte Spiele, das sind aus Rings Sicht solche, in denen geschossen wird oder sonst irgendwie explizite Gewaltdarstellungen vorkommen. Erst unlängst versuchte Ring bei der Veranstaltung Munich Gaming 2010, die Teilnehmer eines Vortrags dadurch zu schockieren, dass er eingangs ein Video abspielen ließ, in dem Kriegsszenen aus dem Nachrichtenfernsehen mit entfernt ähnlichen Szenen aus Militär-Simulationen und Shootern zusammen geschnitten waren. Klare Intention: Schaut her, wie weit es schon gekommen ist mit den Kriegsspielen! Vielleicht hätte die tendenziöse Video-Collage beeindruckender gewirkt, wäre sie mit Sound abgespielt worden.

Streitpunkt "Bestes internationales Spiel"

Was aber bedeutet es, wenn der Jury-Vorsitzende des Deutschen Computerspielpreises der Meinung ist, dass in einem Preisträger-Spiel nicht geschossen werden darf? Das bedeutet, dass es zwar vernünftige Vorauswähler geschafft haben, in die Kategorie "Bestes internationales Spiel" zwei großartige, gewalthaltige Spiele zu mogeln (neben dem absurden Vorschlag Professor Layton und die Schatulle der Pandora). Dass sich die Jury dann aber nicht auf einen der beiden ernsthaften Vorschläge einigen konnte. Vielmehr wurde mal eben kurz ein anderes Spiel nachnominiert, über das dann bis zur heutigen Preisverleihung der Mantel des Schweigens gehüllt wurde. Und zwar das Schweigen der Scham, möchte man zugunsten der wenigen echten Fachleute in der Jury hoffen.

Jeder wusste, dass diese Nachnominierung ein Kompromisskandidat sein würde. Und außerdem derjenige, der den Preis schließlich bekommen würde. Nur so konnte ein Eklat verhindert werden, denn erste Spielehersteller hatten gedroht, zukünftig ihren Beitrag zu den Preisgeldern zurückzuziehen, würde der internationale Preis (wie es zunächst der Plan der Jury gewesen war) einfach gar nicht vergeben. Dass es aber so schlimm kommen würde mit dem Ersatzkandidaten, hätte wohl niemand vermutet. Nachdem Anno 1404 in der Kategorie "Bestes deutsches Spiel" auf Platz 1 gewählt wurde (eine argumentierbare, wenngleich nicht zwangsläufige Entscheidung), gewann die Auszeichnung "Bestes internationales Spiel"... Dawn of Discovery. Und damit nochmal Anno 1404. Das aber ist in etwa so rational begründbar, als hätte vor einigen Jahren -- mir fällt gerade kein besseres Beispiel ein --, der Clint-Eastwood-Film Unforgiven den Oscar für den besten ausländischen Film erhalten, weil er in Deutschland unter dem Titel Erbarmungslos erschienen ist.

Geht es noch? Anno 1404 wird doch nicht zum internationalen Spiel im Sinne der Preiskategorie, nur weil es mit englischem Namen international vertrieben wird! Aber ich will hier gar so sehr über diese elende Feigenblatt-Entscheidung der Jury schimpfen. Oder dass ausgerechnet das sehr erwachsene, sehr weltverbrannte Whispered World als "bestes Jugendspiel" ausgezeichnet wurde. Ich will darüber klagen, dass der Dreisatz "Gute Spiele fördern", "Schlechte Spiele nicht fördern", "Schlechte Spiele sind solche, in denen geschossen wird" geradewegs in die Lächerlichkeit führt.

Oscars nur noch für Familienfilme?

Hitchcock, Frankenheimer, Mann, Scorsese, Malick, Scott, Kubrick... würden bei diesem Preis leer ausgehen.
Man stelle sich das einmal am Beispiel der Oscar-Verleihung vor. Was würde es bedeuten, wenn deutlich gewalthaltige oder sonstwie für Kinder ungeeignete Filme niemals den Oscar bekommen könnten? Was hieße das für Werke von toten wie lebenden Regisseuren wie Hitchcock, Frankenheimer, Mann, Scorsese, Malick, Scott, Kubrick und vielen, vielen anderen? Sie alle würden, hätten sie Spiele gemacht statt Filme, bei dieser Jury, bei diesem Preis leer ausgehen. Und vermutlich noch als Schmutzfinken tituliert werden. Man kann doch nicht künstlerisch wertvolle Filme von einer Preisverleihung ausschließen, weil sie nicht für Jugendliche geeignet sind! Und auch nicht Rekorde brechende Kassenschlager, die offensichtlich einer Vielzahl von Menschen gefallen.

Macht ja auch niemand beim Oscar oder den vielen anderen Filmpreisen in der westlichen, mithin halbwegs freien Welt. Macht ja auch niemand bei den diversen Spielepreisen, die weltweit vergeben werden. Macht nur einer: der deutsche Computerspielpreis. Mit seiner angeblichen Jugendschützer-Jury. Schon im Gründungsjahr 2009 durfte GTA 4 nicht gewählt werden, obwohl dieses Spiel monatelang die internationalen (und auch deutschen!) Feuilletons begeistert hatte, als zwar gewalthaltiger, aber eben auch ungeheuer treffender, satirisch-sarkastischer Blick auf die moderne amerikanische Gesellschaft und Medienlandschaft. Und natürlich deswegen, weil es ein überirdisch gutes Computerspiel ist. Und dieses Jahr? Durfte Uncharted 2 nicht gewählt werden -- das Äquivalent eines James-Bond-Blockbusters. Und auch Dragon Age Origins nicht, obwohl es ein ebenso intelligentes wie komplexes Werk ist, das in Szenario und Gewaltgrad sehr gut mit dem vielfach prämierten Kino-Megaknaller Herr der Ringe zu vergleichen ist.

Computerspiele dürfen nicht zeigen, was Filme zeigen

Solche Spiele dürfen beim deutschen Computerspielpreis nicht prämiert werden? Das zeugt von einer gewaltigen Verachtung dem Medium Computerspiele gegenüber. Dieses Medium darf anscheinend nicht das zeigen, was das Medium Film zeigt, oder auch nur das Fernsehen. Es darf sich nicht an Erwachsene richten, es darf keine Kunst sein, kein Spiegel der realen Welt, die nun mal in Zeiten mehrerer Kriege, in die Deutschland verstrickt ist, tagtäglich martialische Bilder ins Fernsehen und in die Zeitungen bringt, auch hierzulande. Computerspiele müssen so tun, als wären sie alle pädagogisch wertvoll -- sonst sind sie "schlechte Spiele". Dass aber gewalthaltige, unbequeme, aufrührende Spiele sehr viel stärker zum Denken anregen können als nett gemeinte Pädagogenkost, dass sich auch anhand eines Popcorn-Shooters wie Modern Warfare 2 mit all seinem billigen Hurra-Patriotismus und seiner latenten Menschenverachtung sehr ernsthaft diskutieren lässt, das alles hat in der beschränkten Wahrnehmung der Jury-Mitglieder offenbar keinen Platz. Und auch nicht, dass es tatsächlich viele Erwachsene gibt, die an erwachsenen Computerspielen ihren Spaß haben, und die sich freuen würden, wenn tatsächlich eines der besten Spiele prämiert werden würde, zumindest in der Kategorie "international".

Ich finde: Jury-Mitglieder, die so offensichtlich das Medium verachten, über das sie abstimmen, sollten ihren Platz räumen. Und damit solchen Jury-Mitgliedern Platz machen, die das Medium mögen und es vor allem verstehen -- und seinen großen positiven Einfluss auf die Phantasie und die Freizeit von Millionen von Menschen. Da aber diese Einsicht bei den für den heutigen Schlamassel Verantwortlichen kaum zu erwarten ist, plädiere ich einstweilen für etwas ganz anderes: Benennt doch diese mit Hunderttausenden von Euro garnierte Farce in das um, was sie in Wahrheit darstellt, und zwar in zweierlei Hinsicht. Nennt sie "Deutscher Computer-Kinderkram-Preis." Das wäre ehrlicher.

Euer Jörg Langer
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