Interview: Prof. Jürgen Fritz

"Herr Pfeiffer ist Politiker!" Interview

Er gilt mit seinem Forschungsschwerpunkt "Wirkung virtueller Welten" an der FH Köln als ein Gegenpol zu Wissenschaftlern, die in Computerspielen vor allem "modernes Teufelswerk" sehen. Im Interview mit Jörg Langer mochte er aber auf Attacken seines Kontrahenten Prof. Pfeiffer nicht reagieren.
Jörg Langer 16. Juni 2009 - 13:57 — vor 14 Jahren aktualisiert
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An der Fachhochschule Köln werden bereits seit den achtziger Jahren intensive Forschungen zu virtuellen Welten durchgeführt. Darunter eine Studie über die Art und Weise wie Industrie und Presse Ego-Shooter bewerben und behandeln, sowie aktuell eine 15-monatige Studie zum Thema Computersucht. Am meisten bekannt wurde das Institut für Medienforschung und Medienpädagogik jedoch durch seinen Leiter Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz und dessen Buch "Computerspiele(r) verstehen". Zum einen musste die Bundeszentrale für politische Bildung vergangenes Jahr aufgrund des Vorwurfs des Abschreibens die Auslieferung stoppen. Zum anderen ließ es sich "Killerspiele"-Kritiker Professor Dr. Christian Pfeiffer nicht nehmen, das Buch als von der Spiele-Industrie eingekauft zu bezeichnen. Wir haben Professor Fritz zu seiner Sicht der Dinge befragt.

Medienwissenschaftler Jürgen Fritz
Gamers Global: Herr Professor Fritz, wieso mag Professor Pfeiffer Sie nicht?  Er hat mir gesagt, Sie seien von der Industrie gekauft.

Prof. Jürgen Fritz: Herr Pfeiffer ist Politiker. Man könnte den Eindruck haben, dass Herr Pfeiffer die Hochschule als eine Art "politischen Gegner" wahrnimmt und nicht als einen möglichen Partner, um die Faszinationskraft der Computerspiele zu verstehen und einen angemessenen Umgang mit ihnen zu entwickeln. Die Aufgabe unserer FH Köln besteht darin, die Studierenden gut auszubilden. Die Forschungsprojekte, die wir durchgeführt haben, sind darauf bezogen. Wir führen keine politische Auseinandersetzung. Das gehört nicht zu unseren Aufgaben.

GamersGlobal: Was sehen Sie denn dann als Ihre Aufgaben?

Prof. Jürgen Fritz: Forschungen im Bereich "Wirkung virtueller Spielwelten" führe ich seit mehr als 20 Jahren durch, etwa zur Faszinationskraft der Computerspiele. Viele Forschungen erfolgten im Rahmen von Lehrforschungsprojekten, also ohne jegliche Drittmittel unter Einbeziehung von Studierenden im Rahmen von Lehrangeboten. Weitere Forschungsprojekte wurden zum Teil von der Fachhochschule selbst oder vom Wissenschaftsministerium des Landes NRW gefördert. Vor mehr als zehn Jahren hat das Wissenschaftsministerium NRW den Forschungsschwerpunkt "Wirkung virtueller Welten" an der Fachhochschule eingerichtet und mit erheblichen finanziellen Mitteln ausgestattet. In den weiteren Jahren habe ich mehrfach erhebliche Forschungsmittel vom Bundeswissenschaftsministerium. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat kleinere Forschungsprojekte finanziert.

GamersGlobal: Arbeiten Sie etwa gar nicht mit der Industrie zusammen?

Prof. Jürgen Fritz: Der Präsident der Fachhochschule Köln hat Kooperationsverträge mit den Firmen Electronic Arts und Nintendo abgeschlossen, die die Hochschule verpflichten, ein Institut "Spielraum" zu gründen und zu betreiben. Die Aufgaben dieses Instituts bestehen darin, medienpädagogische Veranstaltungen durchzuführen, Referenten bei Anfragen zur Verfügung zu stellen, Netzwerke zu knüpfen, Tagungen durchzuführen, eine Website zu gestalten. Forschungstätigkeiten sind vertraglich ausdrücklich ausgeschlossen! Die Firmen Nintendo und Electronic Arts nehmen keinen Einfluss auf Art, Umfang und Inhalt der pädagogischen Arbeit von "Spielraum". Räumlich und organisatorisch ist "Spielraum" der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften zugeordnet. Die Fakultät stellt die Diensträume zur Verfügung. Die drei Fachkräfte sind Angehörige der Fakultät, deren Disziplinarvorgesetzter der Präsident der Fachhochschule Köln ist.

GamersGlobal: Klingt fast schon wie ein Plädoyer. Was ist Ihre Haltung zu gewaltdarstellenden Computerspielen?

ArmA 2: Für viele interessant, weil realitätsnah.
Prof. Jürgen Fritz: Das sollte man differenziert betrachten. Die e-Sportler nutzen die Spiele für Wettbewerbe. Dann gibt es Menschen, die sich für Waffen interessieren. Für die sind solche Spiele die Möglichkeit, die "Realitätsnähe" der Waffen in Blick zu nehmen. Gelegenheitsspieler kommen vielleicht gefrustet von der Schule und entlasten sich durch Spiele emotional. Andere suchen schnelle Erfolgserlebnisse und Bestätigungen ihrer Selbstwirksamkeit. Es gibt auch latent aggressive Jugendliche, die entsprechend aufgeladene Spiele wählen, weil sie ihrer emotionalen Situation entsprechen. Bei diesen "problematischen" Jugendlichen könnte das Computerspiel eine bedenkliche Abwärtsspirale in Gang setzen: Die Spiele können das "aggressive Innere Milieu" verstärken. Eltern, Erziehern und Pädagogen müssen diesen Jugendlichen Alternativen bieten, die helfen können, in anderer Weise Erfolgserlebnisse zu machen und sich in der realen Welt als selbstwirksam zu erfahren.

GamersGlobal: Wie sehr muss die Politik die Gesamtgruppe der Spieler einschränken, um eine – vielleicht sehr kleine – Teilgruppe vor sich selbst zu schützen?

Prof. Jürgen Fritz: Das ist das große Problem der Politik: die Freiheitsrechte auf der einen Seite, die Schutzinteressen gegenüber der Gesellschaft auf der anderen. Die "einfache" Lösung könnte sein, die Beurteilungskriterien der USK zu verschärfen und etwa auch den 16jährigen mehr Spiele vorzuenthalten. Die andere, teurere Lösung könnte sein, die Schulen und Jugendeinrichtungen zu Angeboten zu verpflichten, damit Computerspiele für entsprechend disponierte Jugendliche nicht zur alleinigen Freizeitgestaltung werden. Wenn der Jugendliche keine Alternativen hat, ist die "Selbstmedikation" durch Computerspiele nur einen Mausklick entfernt. 

Counter-Strike Source auch nicht für 16jährige? Prof. Jürgen Fritz sieht darin eine der "einfachen" Lösungen.

Gadeiros 15 Kenner - 3562 - 17. Juni 2009 - 7:05 #

na, das ist natürlich zusammen mit dem pfeiffer-interview ein gelungener rundumschlag.
und ich muss sagen, daß (nicht nur weil er nicht gegen games ist) dieser herr mir sympathischer und informierter erscheint.

besonders sinnvoll sehe ich seine aussagen hier: "Herr Pfeiffer ist Politiker", hier: "Jedes Mal, wenn ein neues Medium erscheint, setzt sich die Gesellschaft damit kritisch auseinander." und ganz besonders diese hier: "Es wäre für mich nicht vertretbar, wenn ich Seminare zu Sachverhalten anböte, zu denen ich aus eigener Anschauung nichts sagen könnte" (da wird gerne geschlampt imho).

etwas auszusetzen habe ich mit der aussage, man müsse den ab 16-jährigen mehr spiele verwehren.- denn einerseits gibt es seit jahren die diskussion, ob 16jährige reif genug sind um zu wählen und andererseits gesteht man ihnen bei soetwas keine eigene entscheidungsfähigkeit zu, wenn man ihnen mehr verbietet. ich meine.. ab dem alter ist man also reif genug um bei einer sehr wichtigen entscheidung für ein ganzes land dabei zu sein aber zu unreif um entscheidungen für sich selbst zu treffen. denn wenn ein jugendlicher schon nen kleinen knacks hat, dann ist das mit 16 eh schon im grunde gelaufen imho. sogar autofahren wollen viele für die 16jährigen freigeben. also ihnen einerseits ne art waffe geben und andererseits sie nicht für intelligent genug zum spielen halten. find ich merkwürdig.

aber insgesamt.. großartig. schönes interview. zusammen mit dem pfeiffer'schen ein gutes double geworden. vielleicht die beiden miteinander verlinken wäre ganz nett.

LEiCHENBERG 14 Komm-Experte - 1967 - 17. Juni 2009 - 7:16 #

Ich schließe mich meinem Vorredner voll und ganz an. Der Herr ist einfach sympathischer - auch wenn das voreingenommen klingt, da hier eine andere Haltung, weniger kritisch, deutlich wird. Mir gefällt auch der von |Gadeiros| genannte Vergleich zum Wahlrecht und "Führerschein ab 16".

Als besonders gut empfinde ich, dass es in gewisser Hinsicht Zugeständnisse gibt (Spiele können junge Menschen durchaus in eine Abhängigkeit treiben; es gibt u.U. zu wenig Alternativen für gefährdete Jugendliche) und gleichfalls auch darauf hingewiesen wird, dass es eben nicht die Mehrheit der Jugendlichen sind, welche dieses Bild abgeben. Denn immerhin gibt es viele Arten und Gründe zu spielen (eSport / Waffeninteresse / abreagieren / Bestätigung durch Erfolge / Agressionsauslebung).

Gefällt mir sehr gut. Stellt eine ausgewogene Betrachtungsweise dar - anders als die des Herrn Pfeiffers.

peo 08 Versteher - 188 - 17. Juni 2009 - 8:20 #

Es ist schön das es auch Menschen gibt die sich mal Sinvoll mit der ganzen Thematik beschäftigen. Ob der Herr sympatisch ist kann ich nicht beurteilen, aber seine Aussagen sind auf besser auf Fakten gestützt und haben meiner Ansicht mehr Hand und Fuss. Man merkt einfach das er sich damit beschäftigt hat, den er macht einfach klare Aussagen und nicht wie Herr Pfeifer - der einfach nur Statistiken und Zahlen um sich schmeißt.

Bitte mehr!

Christoph 18 Doppel-Voter - P - 10234 - 17. Juni 2009 - 8:36 #

Erfrischend viel gesunder Menschenverstand und Differenziertheit. Ich fand schon immer, daß jegliches Bestreiten oder Verschweigen der offensichtlichen Problematik nicht zielführend ist, weil zu viele Eltern Kinder haben, die ganz offensichtlich ein großes Problem mit dem Spielen haben.

Aber im Prinzip ist es wie früher mit Fernsehen und Video, auch davon mußten meine Eltern uns kleine Kinder wegscheuchen und "draußen spielen" lassen, damit es nicht zu viel wurde. Natürlich guckt (spielt) man dann, sobald es die Eltern nicht mehr verhindern können, erst mal viel zu viel; aber daß sich alles später auf ein normales Maß einpendelt, liegt in erster Linie am *ansonsten* "normalen" Umfeld mit Familie, Freunden und geregeltem und betreuten Alltagsleben und nicht an dem evtl. ausartenden Hobby selbst, egal welches das sein mag.

Hhaller 04 Talent - 33 - 17. Juni 2009 - 9:14 #

Trotz der Beschäftigung mit Thematik und Zusatzmaterie darf man nicht vergessen, dass die Sätze die auch hier unser Professor als Argumente mit in seine Spezialistenbegabung einführt alle schon diskutiert und abgegrast sind.

Symphatie, da besser Informiert ist zwar eine edle Geste, aber hier scheint die Problematik von vor 3 Jahren verarbeitet zu werden (So erscheint es in manchen Textabschnitten, vorallem im letzten).

Ich will nun weder Interview, Interviewer noch den Befragten herunterspielen, denn sich mit der Opposition einer Meinung auseinanderzusetzen ist der beste Weg der gegangen werden kann (hier die Gegenseite zu Dr. Pfeiffer).

Aber wie er schon selbst gesagt hat ist Politik eine Meinungsmache und dem Volk verschrieben, dazu natürlich auch voreingenommen. Jetzt zu allem Ja und Amen geben was wir Spieler eigentlich durchgesetzt bekommen wollen ist genauso wenig eine Lösung wie sie Dr. Pfeiffer uns vorspielen wollte. Es liest sich fast so als würde man auch hier gezwungene Einstellungen und Ansichten erhalten.

Aber, es ist einen Schritt weiter und vielleicht, mit mehr Forschung und Hochschulanalysen kann sich in geraumer Zeit ein Ergebnis beider Parteien zusammenpuzzlen. Dafür wird aber zuerst die Politik aus der Debatte hinwegreduziert werden oder man wird sie davon überzeugen müssen neutraler auf Spieler und Medienwissenschaftler einzugehen.

Was die Jugendlichen angeht die mit Spielen und Außerschulischen Akitivitäten an eigene Entscheidungsfreiheit herangeführt werden sollen, die können nur eine Anleitung "verlesen" bekommen, sich selbst erkennen liegt im Sinn des Heranwachsens, dafür wird kein Pädagoge oder Betreuer einstehen können.

PS: Hier wird natürlich das andere Geschlecht wie vorher ausgelassen ;) Wenn man schon eine Erklärung zu Gesellschaft + Spiele abgeben will sollte man doch alle Facetten und Ursachen erkennen und beleuchten.

LEiCHENBERG 14 Komm-Experte - 1967 - 17. Juni 2009 - 13:31 #

"Symphatie, da besser Informiert ist zwar eine edle Geste, aber"
Es war die Rede von sympathischer UND besser informiert. Das ist ein wichtiger unterschied.

"Jetzt zu allem Ja und Amen geben was wir Spieler eigentlich durchgesetzt bekommen wollen ist [..]"
Ich habe nicht das Gefühl, dass uns hier etwas vorgesetzt wird, was später tatsächlich zu einem entscheidenden Ergebnis führt, weswegen man sich jetzt für |eine Seite| entscheiden müsste. Handelt es sich nicht eher um sinnvolle Gedanken aus den Nichtspielerreihen, die zur Diskussion um Spiele und Umgang mit ihnen beitragen?

"[..]Dafür wird aber zuerst die Politik aus der Debatte hinwegreduziert werden oder man wird sie davon überzeugen müssen neutraler auf Spieler und Medienwissenschaftler einzugehen.[..]"
Bevor die Politik neutral auf Dinge zu geht, muss sie merken, dass man mit Hilfe von voreingenommenen Einstellungen keine Wähler mehr anzieht. Das hingegen geschieht erst, wenn Spiele in der Gesellschaft angekommen sind und deswegen ist diese Diskussion in meinen Augen enorm wichtig - erreicht nur leider nicht zu viele Menschen. Deswegen sollte man hier nicht von |einer Seite| ausgehen, der man angehört oder nicht; es ist viel wichtiger die sinnvollen Elemente zu erkennen und in die Diskussion einfließen zu lassen.

Anonymous (unregistriert) 17. Juni 2009 - 16:24 #

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