Black Mirror ohne Horror

Lost Chronicles of Zerzura Preview

Nach Black Mirror 3 vollzieht Entwickler Cranberry Production einen Tapetenwechsel. Lost Chronicles of Zerzura schickt uns mit Erfinder Feodor Morales ins Spanien des 16. Jahrhunderts. Die Befreiung seines Bruders aus den Fängen der Inquisition führt ihn bis nach Tripolis und schließlich in eine mythische Stadt inmitten der Wüste.
Benjamin Braun 11. Januar 2012 - 23:37 — vor 12 Jahren aktualisiert
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Nach der Übernahme durch den Hamburger Publisher dtp und der Umfirmierung in Cranberry Production im Jahr 2003 haben sich die ehemaligen 4Head Studios (Die Gilde 2)  zu einer reinrassigen Spieleschmiede für Adventures entwickelt. Mittlerweile gehört das Hannoveraner Studio, in dem vor wenigen Jahren auch die Überreste von House of Tales (Overclocked, The Moment of Silence) aufgegangen sind, zu den wichtigsten Herstellern innerhalb dieses Genres. Dass aller Anfang schwer ist, mussten sie mit dem enttäuschenden Mata Hari schmerzlich erfahren, das dtp groß mit der Beteiligung der Designer von Indiana Jones and the Fate of Atlantis, Hal Barwood und Noah Falstein, bewarb. Aber schon dort überzeugte das Unternehmen mit einer aus technischer Sicht einwandfreien Umsetzung.

Die beiden Fortsetzungen des äußerst beliebten Horror-Adventures The Black Mirror - Der dunkle Spiegel der Seele bildeten dann schließlich ihre bislang größten Erfolge. Mit Black Mirror 3 (GG-Test: 8.5) lösten Cranberry und Autorin Anne von Vaszary ihr Versprechen ein, die Geschichte des Gordon-Clans zu Ende zu erzählen. Zeit für den Entwickler und die Autorin, sich einem gänzlich anderen Projekt zu widmen. In Lost Chronicles of Zerzura verschlägt es den Spieler mit Erfinder Feodor Morales ins Jahr 1514. Spannend sind aber nicht nur seine Fortschritte in der Wissenschaft: Ihn erwartet sein größtes Abenteuer auf der Suche nach der sagenumwobenen Wüstenoase Zerzura. Die Spielmechanik ist nahezu eins zu eins aus Black Mirror übernommen und es gibt noch einige Elemente mehr, die ihren Weg ins neue Abenteuer des Entwicklers geschafft haben. Gelingt es dem Studio an die Qualität ihrer letzten Produktionen anzuknüpfen?

Auf den Spuren Leonardo da Vincis
Noch ist die Welt von Erfinder Feodor in Ordnung. Doch schon bald wird sein Bruder Ramon von der Inquisition verschleppt.
Feodor Morales und sein Bruder Ramon betreiben eine kleine Werkstatt am Rande von Barcelona. Das Geschäft läuft nur schleppend, da die zutiefst christlichen Bewohner die Errungenschaften des Tüftlers als gotteslästerlich ansehen. Aber als Pionier der Wissenschaft muss Feodor ohnehin mit Rückschlägen leben. Das gilt nicht zuletzt für seine neueste Errungenschaft, mit der er fast 400 Jahre vor den Gebrüdern Wright wie ein Vogel durch die Lüfte schweben will. Und kläglich scheitert. Das ist aber kein Grund für den Jungerfinder aufzugeben. Vielmehr hat er bereits einen neuen Plan und entwirft eine Ballonkonstruktion. Doch der Traum vom Fliegen rückt schon bald in den Hintergrund: Die im ganzen Land wütende Inquisition fällt nun auch in Feodors Heimatstadt an der Costa Brava ein: Ein Schiff der finsteren Kirchendiener legt im Hafen von Barcelona an. Die Truppen des Großinquisitors sind aber nicht etwa hinter Feodor her, sondern hinter seinem Bruder Ramon. Der brütet tagein, tagaus über alten Schriften und lässt sich von seinem Onkel, dem Händler Thabid, regelmäßig Artefakte aus dem einst so mächtigen Byzantinischen Reich besorgen. Die Inquisition verschleppt Ramon nach Tripolis und Feodors einzige Chance, ihm nach Nordafrika zu folgen, sind ein paar räuberische Korsaren, zu denen auch die bildhübsche Piratenbraut Jamila gehört.

Unverbrauchtes SettingNach den in den 80er Jahren angesiedelten Horror-Adventures Black Mirror 2 und 3 vollzieht Cranberry einen in jeglicher Hinsicht radikalen Wandel. Die Geschichte des Tüftlers Feodor und die Suche nach Zerzura hat weit mehr von den Abenteuern eines Indiana Jones. Und was als Rettungsmission beginnt, entwickelt sich mit der Zeit mehr und mehr zum Abenteuertrip, der nicht an kleineren und größeren Wendungen spart. Das Setting in Spanien und Nordafrika des 16. Jahrhunderts ist alles andere als ein ständiger Gast im Adventure-Sektor und weist mit der Suche nach Zerzura gewisse Parallelen zu Nathan Drakes jüngster Jagd auf. Die Entwickler verlassen sich allerdings nicht allein auf die Unverbrauchtheit ihres Ansatzes innerhalb der Welt der klassischen Adventures, sondern sorgen für ein hohes Maß an Abwechslung. Von mehreren Schauplätzen in Südspanien führt die Reise an Bord eines Korsaren-Schiffs, den Unterschlupf der Piraten auf eine Insel irgendwo im Mittelmeer und schließlich nach Tripolis und weiteren Orten in der Wüste. Ganz anders als in der Black-Mirror-Reihe bekommt der Spieler es mit Feodor Morales nicht mit einem chronischen Unsympathen als Helden zu tun, sondern mit einem netten Kerl, der gänzlich unerwartet in sein wohl größtes Abenteuer stürzt. Der Jüngling ist uns aber nicht nur deshalb sehr sympathisch, sondern auch, weil er zumindest anfangs extrem unbeholfen gegenüber seiner späteren Begleiterin Jamila agiert. Sie verdreht ihm im Nu den Kopf.
Später in der Handlung verschlägt es Feodor auch auf ein Schiff der Korsaren. Ohne Mast und Segel auf hoher See muss der Erfinder nun eine neue Antriebsmethode ersinnen – und das Leck im Bauch des Schiffes sollte er wohl auch flicken.

Üppig und schönIm Abenteuer gibt es noch ganz andere Hingucker als Piratin Jamila. Das Highlight des Spiels sind nämlich die hübsch ausgerenderten Hintergründe, die mit verschiedenen Filtereffekten in den meisten Fällen fast schon wie von Hand gemalt wirken. Die Kulissen werden immer wieder von Zoomeffekten oder auch von Partikeleffekten, wie einer Sandwehe oder auch mal den lodernden Flammen eines sich ausbreitenden Feuers begleitet, die dem statischen Eindruck der Hintergründe entgegenwirken. Die Spielszenen werden gleichzeitig allesamt mit einigen animierten Objekten wie ein paar sich im Wind wiegenden Kleidungsstücken, in einer Baumkrone sitzende Singvögel oder das knisternde Feuer eines Kamins aufgewertet. Apropos knistern: Die Entwickler tun sehr viel dafür, dass die Szenerie auch akustisch zur Geltung kommt. Vogelzwitschern, das Heulen des Windes in der Steppe oder das Krächzen der Möwen am Hafen von Barcelona sind nur Beispiele. Und wie schon in den letzten Spielen passen sich die Schrittlaute zumeist deutlich hörbar dem jeweiligen Untergrund an. Bei den Sprechern wird dtp seinem Ruf gerecht, gute Synchronisationen abzuliefern, und hat erneut einige namhafte Künstler eingekauft. Feodor und sein Bruder Ramon werden zum Beispiel von Louis Friedmann Thiele und Norman Matt ("Guybrush Threepwood") gesprochen. Die gleichsam selbstbewusste wie etwas schnippische Begleiterin Jamila ist mit Anja Stadlober (Olivia Wilde in Dr. House, Allison Mack in Smallville) ebenfalls sehr passend besetzt. Und mit Thomas Balou Martin (Kestrel in Splinter Cell Conviction) oder Hans-Gerd Kilbinger (Hund Sam in Sam & Max - Hit the Road) sind noch weitere bekannte Sprecher an Bord.

Besonders stolz sind die Entwickler bei der Grafik übrigens auf die Wassereffekte im Spiel, die uns nicht nur an Bord eines Korsarenschiffs begegnen. Wobei, eigentlich sind es gar keine Effekte in dem Sinne. Tatsächlich hat Cranberry etwa den Wellengang auf offener See animiert und diese Animation dann als Video in Dauerschleife in die Spielszenen integriert. Eine schöne Idee, die richtig gut aussieht und dabei auch noch Performance spart. Schon in Black Mirror 2 war Cranberr
Anzeigen/v
y auch immer darum bemüht, möglichst viele per Motion Capturing aufgezeichnete Spezialanimationen der Charaktere ins Spiel zu integrieren. Ganz fertig waren die in der Preview-Fassung von Lost Chronicles of Zerzura zwar noch nicht, aber schon jetzt wird deutlich, dass hier weit mehr Wert auf Details gelegt wurde als in anderen aktuellen und vergleichbaren 2,5D-Adventures. Alibi-Handbewegungen bei der Aufnahme von Objekten sind eher die Ausnahme und eine kuriose Falle, die Feodor für einen Soldaten der Inquisition in einem Kerker errichtet, sind umfangreich animiert. Bei sehr komplexen Bewegungsabläufen scheut Cranberry aber aktuell auch nicht vor einer kleinen Schwarzblende zurück. Das war schon in Black Mirror gang und gäbe, ist aber auch bei vielen anderen Adventures nicht anders. Besonders schön ist, dass Feodor im Vorbeilaufen seinen Blick auf die Nichtspielercharaktere richtet, während er an ihnen vorbeigeht. Lediglich bei den Zwischensequenzen wird der Sparzwang etwas zu deutlich: Die Videos bestehen nämlich lediglich aus ein paar simpel animierten Zeichnungen. Aber das lässt sich im Anbetracht der restlichen Grafik nach den bisherigen Eindrücken verkraften.
before
after
... als auch bei Nacht betreten werden. Hier sehen wir den Hafen von Barcelona zu unterschiedlichen Tageszeiten.
FPS-Player (unregistriert) 12. Januar 2012 - 7:44 #

Geil! Allein wegen der Synchro wird das gekauft!

Cubi 17 Shapeshifter - 6163 - 12. Januar 2012 - 10:42 #

Schöner Test, Danke.
Ein kleiner Rechtschreibfehler:
"Doch der Traum vom Fliegen rückt schon bald in den Hinte_grund: Die im ganzen Land wütende Inquisition...."

Anonymous (unregistriert) 12. Januar 2012 - 11:14 #

"Cranberry Production zieht nach Hamburg um. Dort wird Cranberry künftig Online-Spiele entwickeln."
Quelle: adventure-treff de (forum/viewtopic.php?f=1&t=18448&start=30#p460150)

Jörg Langer Chefredakteur - P - 469794 - 13. Januar 2012 - 10:36 #

Ja und?

Anonymous (unregistriert) 14. Januar 2012 - 21:15 #

Nix "und?" - reine Informationsweitergabe. Könnte doch Adventurefans interessieren, wenn LCOZ das letzte klassische Adventure des Studios wäre.

TASMANE79 (unregistriert) 12. Januar 2012 - 11:25 #

Endlich mal wieder Adventurekost in einem unverbrauchten Setting.
Fehlt nur noch eine Neuauflage zu Broken Sword!

Wurstdakopp (unregistriert) 12. Januar 2012 - 12:06 #

Die Neuauflage 3 & 4 waren ja eher eine Katastrophe, ähnlich wie Monkey Island 4 oder 5. Manche Hersteller sollten die Serien auch Ruhen lassen, wenn Sie in jedem Teil das Rad neu erfinden wollen. Black Mirror ist ein gutes Beispiel, wie eine Serie über 3 Teile sich nur ganz langsam technisch weiterentwickelt und dabei die Story im Vordergrund belässt. Mit diesem neuen Adventure kann man jetzt neue Sachen probieren, obwohl ich mittlerweile glaube, dass gerade die deutschen Adventureentwickler verstanden haben, dass man ein klassisches Point'n'Click-Spiel nicht mit anderen Genres verquicken sollten.